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Wagnis + Gewinn: Zwei, die sich nicht trennen lassen

Der Bundesgerichtshof erkennt an: Bei der Abrechnung eines frei gekündigten Werkvertrages, und hier bei der Abrechnung des in der Folge der Kündigung nicht mehr auszuführenden Vertragsteils, ist der kalkulierte Zuschlag für Wagnis nicht als ersparte Aufwendung von der Vergütung nach § 649 Satz 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2006) in Abzug zu bringen. Denn mit Wagnis solle das allgemeine unternehmerische Risiko abgesichert werden; siehe BGH, "Freie Kündigung, Wagnis II", Urteil vom 24.03.2016 -- VII ZR 201/15. Um es vorweg zu nehmen: Die Entscheidung ist richtig. Damit grenzt sich das Gericht von seiner früheren Entscheidung BGH "Freie Kündigung, Wagnis I" aus dem Jahre 1997 (VII ZR 222/96, BauR 1998, 185 = IBR 1998, 50) ab, nach welcher noch gelten sollte: Ein kalkulatorisches Wagnis, das sich mangels Ausführung der Leistung nicht realisieren kann, ist grds. als ersparter Preisbestandteil von der vereinbarten Vergütung abzuziehen; soweit noch zutreffend, aber dann: Dazu zähle auch der Wagnis-Anteil im gemeinsamen Kalkulationszuschlag Wagnis + Gewinn.

Der anfängliche Irrtum des BGH lag in der Annahme, das Wagnis im gemeinsamen Kalkulationszuschlag "Wagnis + Gewinn" sei ein solches, das mit der Leistungserstellung entsteht. Es könne sich mangels Ausführung der Leistung nicht verwirklichen; siehe BGH "Freie Kündigung, Wagnis I". Jetzt, mit BGH "Freie Kündigung, Wagnis II" wird zutreffend klargestellt: Mit Wagnis solle das allgemeine unternehmerische Risiko abgesichert werden. Ich ergänze: Diese Art Wagnis, das kein projektspezifisches ist, existiert unanhängig davon, ob gebaut wird. Es ist unabhängig von der Leistungserstellung und kann deshalb per se wie Allgemeine Geschäftskosten nicht erspart werden, wenn Bauleistung kündigungsbedingt nicht ausgeführt wird.

Ich hole aus:

Der Auftraggeber eines Werkvertrages kann diesen jederzeit und ohne Angabe von Gründen fristlos kündigen. Im Gegenzug erhält der Auftragnehmer die vereinbarte Vergütung. Er muss sich jedoch das Ersparte anrechnen lassen und weiter dasjenige, was er anderweitig, d. h. durch einen "echten" Füllauftrag, erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Vorliegend geht es um das Ersparte. Nach dem Wortlauf der VOB/B werden mit dem Ersparten "Kosten" angesprochen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B), nach dem Wortlauf des BGB "Aufwendungen" (§ 649 Satz 2 BGB). Darin liegt lediglich ein wörtlicher, aber kein inhaltlicher Unterschied. Die allgemeine Betriebswirtschaftslehre kennt zwar einen Unterschied zwischen Aufwand und Kosten. Danach erzeugt jedoch Aufwand nach dessen monetärer Bewertung Kosten. So erzeugt bspw. die Arbeitskraft Zeitaufwand. Wird der Aufwand mit dem Mittellohn (Verrechnungssatz) bewertet, ist das Ergebnis des Produktes aus Aufwand und Verrechnungssatz gleich Kosten. Letztlich geht es bei der Bemessung des Ersparten also immer um Kosten.

Ersparte Kosten sind von der vereinbarten Vergütung abzuziehen. Kosten, die dem Auftragnehmer im gekündigten Leistungsbereich ohne Kündigung entstanden wären, welche als Folge der Kündigung aber nicht mehr entstehen, sind abzuziehen. Das leuchtet unter dem Postulat der Vor- und Nachteilswahrung sofort ein, wonach die Vergütungsberechnung dem Prinzip zu folgen hat, dass der Auftragnehmer nicht schlechter, aber auch nicht besser zu stellen ist, als bei der Durchführung des Vertrages. Damit lenke ich kurz zu einem weiteren Aspekt der Kündigungsabrechnung ab: Der Auftragnehmer soll durch die Abrechnung der frei gekündigten Leistung nicht besser und nicht schlechter stehen, als er bei Abwicklung dieser Leistung ohne Kündigung gestanden hätte. Dem Auftragnehmer soll die wirtschaftliche Bedeutung des Geschäfts erhalten bleiben; BGH "Freie Kündigung, Kleinbehälter-Förderanlage", BauR 1996, 382, 383. Daraus folgt unmittelbar, dass nicht die Ur-Kalkulation mit ihren potenziell über- und unterbewerteten Ansätzen die Maße für Erspartes und -- im Übrigen anderweitig Erworbenes -- liefern kann.
Wird das Postulat der Vor- und Nachteilswahrung richtig umgesetzt, kann der Auftragnehmer durch Abrechnung der gekündigten Leistung Verlust oder auch Gewinn realisieren, wie er ihn ohne Kündigung realisiert hätte. Abzuziehen sind demnach Kosten, die bei Fortführung des Bauvertrags tatsächlich entstanden wären; BGH "Freie Kündigung, Müllbunker", BauR 2005, 1916 und baubetrieblich ausgebreitet in Drittler, BauR 2006, 1215.

Ich komme zurück zum Wagnis in der Kündigungsabrechnung.

Also, Kosten sind abzuziehen, Kosten, die dem Auftragnehmer nicht entstanden (erspart) sind, weil er die betreffende Leistung in der Folge der Kündigung nicht ausgeführt hat. Das Wagnis, das hier angesprochen ist, ist in "Wagnis + Gewinn" untrennbar mit Gewinn verbunden. Rein betriebswirtschaftlich betrachtet zählt dieses Wagnis nicht zu Kosten.
Vielmehr ist Wagnis allgemein die Verlustgefahr, die sich aus der Natur eines Unternehmens und seiner baubetrieblichen Tätigkeit ergibt. Baubetrieblich wird zwischen dem allgemeinen unternehmerischen Wagnis und dem projektspezifischen Wagnis (auch Einzelwagnis genannt) unterschieden. Während das allgemeine unternehmerische Wagnis in der wirtschaftlichen Tätigkeit schlechthin begründet ist, entstehen projektspezifische Wagnisse durch die konkrete Leistungserstellung. Im gemeinsamen Zuschlag "Wagnis + Gewinn" spricht der Teil Wagnis das allgemeine unternehmerische Wagnis an, so der BGH jetzt zutreffend. "Wagnis + Gewinn" dient in seiner Gesamtheit der Absicherung eines Unternehmens gegen das allgemeine unternehmerische Wagnis sowie der Erzielung eines Unternehmensgewinns. Gewinn ist die Belohnung für unternehmerisches Wagnis.

Allgemeine unternehmerische Wagnisse, welche im gemeinsamen Zuschlag "Wagnis + Gewinn" angesprochen sind, werden in der Folge der Kündigung nicht erspart. Zwar kann sich selbstverständlich auch ein allgemeines unternehmerisches Wagnis verwirklichen, so etwa weil die Nachfrage nach Bauleistung rückläufig ist, während Personalkosten und andere Kosten nicht ohne weiteres und zeitgleich abgebaut werden können. Ein allgemeines unternehmerisches Wagnis verwirklicht sich aber nicht deshalb, weil ein konkreter Auftrag ausgeführt wird, und es entfällt auch nicht, weil dieser Auftrag gekündigt wird. Allgemeines unternehmerisches Wagnis hat, anders als ein Einzelwagnis, gar keinen Bezug zum Auftrag. Die Kündigung eines konkreten Auftrags oder auch dessen Ausführung ist nicht kausal für die Entstehung von Kosten aus Verwirklichung eines allgemeien unternehmerischen Wagnisses. Entfällt dieser konkrete Auftrag durch freie Kündigung, dann besteht das allgemeine unternehmerische Wagnis gleichwohl weiter. Es wird dem Auftragnehmer durch die Kündigung nicht genommen, kann auch deshalb nicht zu den Abzügen aus Ersparnis gerechnet werden.

Fazit: Wagnis + Gewinn lassen sich wirtschaftlich nicht voneinander trennen. In einer Baukalkulation ist jenes Wagnis, um das es hier geht, untrennbar mit Gewinn verbunden. Es heißt deshalb ausdrücklich "Wagnis + Gewinn". Die Versuche, die beiden zu trennen, sollten mit BGH "Freie Kündigung, Wagnis II" dem Gestrigen angehören.





Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 29.04.2016 um 12:47 Uhr)

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