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Kann eine HOAI-Honorarvereinbarung nachträglich korrigiert werden?

Vereinbaren die Parteien ein HOAI-Berechnungshonorar, treffen sie regelmäßig auch Festlegungen zu einzelnen Honorarparametern. Solche Festlegungen können sich nachträglich als unzutreffend erweisen. So kann das Objekt tatsächlich in eine höhere Honorarzone einzuordnen sein als ursprünglich angenommen und im Vertrag vereinbart. Einige Stimmen in der Literatur plädieren für eine Korrektur der Honorarvereinbarung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung, auch und insbesondere im Anwendungsbereich der "unverbindlichen" HOAI 2021 (Korbion/Mantscheff/Vygen/Rodemann, 14. Aufl., HOAI § 7, Rn. 31 ff.; Kemper, FS Locher, S. 171 ff.). Ein gangbarer Weg?

Voraussetzungen der ergänzenden Vertragsauslegung

Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke (statt aller: BGH, Urteil vom 20.4.2017 - VII ZR 194/13 = IBRRS 2017, 1646, Rn. 25). Erfasst sind auch "nachträgliche Lücken", die erst nach Vertragsschluss durch eine von den Parteien ursprünglich nicht bedachte Änderung der Umstände entstehen (MüKoBGB/Busche, 9. Aufl., BGB § 157, Rn. 42 mwN). Im Ausgangspunkt ist also durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln, ob eine solche Regelungslücke gegeben ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die ergänzende Vertragsauslegung Schranken unterliegt und insbesondere nicht dem tatsächlichen Parteiwillen zuwiderlaufen darf (MüKoBGB/Busche, a.a.O., Rn. 55 mwN).

Beispiel: Honorarzone (§ 5 HOAI)

Die Einordnung in eine Honorarzone richtet sich "nach den jeweiligen Planungsanforderungen"5 Abs. 1 HOAI) und ist daher theoretisch bereits bei Vertragsschluss möglich, sofern die bewertungsrelevanten Anforderungen feststehen. Aber gerade Letzteres ist praktisch nie der Fall. Vielmehr werden die Anforderungen planungsbegleitend konkretisiert, wenn nicht gar erstmals festgelegt. Die gesetzlich normierte Zielfindungsphase (§ 650p Abs. 2 BGB) wird in der Praxis weithin ignoriert.

Bsp: Bei Beauftragung gehen die Parteien von einer Flachgründung und daher von durchschnittlichen konstruktiven Anforderungen aus, weshalb das Objekt - gerade noch - in die Honorarzone III einzuordnen ist, was entsprechend vereinbart wird. Nach Vorliegen des - nach Beauftragung eingeholten - Bodengutachtens offenbart sich, dass eine komplexe Bohrpfahlgründung erforderlich ist. Die Bewertung nach § 35 HOAI ergibt, dass - auch bei Ausnutzung aller Beurteilungsspielräume "nach unten" - eine Einordnung in Honorarzone IV zu erfolgen hat.

Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob es sich bei der vertraglich vorgesehenen Honorarzone um eine verbindliche, endgültige Festlegung handeln soll. Wird dies bejaht, scheidet eine Anpassung der Honorarzone im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aufgrund des entgegenstehenden Parteiwillens aus. Etwas anderes kann nur bei einer Änderung der Planungs- und Überwachungsziele angenommen werden: Hier ermöglicht § 10 Abs. 1 HOAI eine Anpassung der Honorarzone ("ist die Honorarberechnungsgrundlage [...] anzupassen" - die Honorarzone stellt eine Honorar[berechnungs]grundlage im Sinne von § 6 HOAI dar). Das gilt sowohl für angeordnete (§ 650q Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 10 Abs. 1 HOAI) als auch einvernehmliche Änderungen, sofern nicht (ggf. AGB-rechtlich wirksam) abweichend vereinbart.

Anders verhält es sich, wenn die Auslegung eine nur vorläufige Festlegung ergibt (z. B.: "Honorarzone (vorläufig): III"). Dann kommt eine Anpassung nicht nur bei Änderungen, sondern auch bei bloßen Konkretisierungen innerhalb des bestehenden Planungs- und Anforderungsrahmens in Betracht. Diese Regelung erweist sich nach hier vertretener Auffassung insoweit als deklaratorisch, als die Honorarzone bereits nach den Bestimmungen der HOAI "dynamisch" ist: Greift bspw. die Basishonorarsatzfiktion nach § 7 Abs. 1 S. 2 HOAI ein, erfolgt die (endgültige) Bewertung der Honorarzone auf Basis derjenigen Planungsanforderungen, die der abgeschlossenen Entwurfsplanung zugrunde liegen (str.; auf die tatsächliche Ausführung abstellend: KG, Urteil vom 19.06.2018 - 7 U 33/17 = IBRRS 2019, 1177).
Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich insbesondere dann, wenn die Parteien - wie üblich - nur folgende Bestimmung treffen: "Honorarzone: III". Handelt es sich dabei um eine endgültige oder nur vorläufige Festlegung? Wenn vereinbart wurde, dass sich die Vergütung nach der HOAI richten soll und die Parteien jenseits der Honorarzone nicht von den Bestimmungen der HOAI abweichen, mag dies dafür sprechen, dass die Festlegung nur vorläufig ist und - nach hier vertretener Auffassung - übereinstimmend mit der HOAI erst mit Abschluss der Entwurfsplanung entsprechend den dann konkretisierten Planungsanforderungen erfolgt.


Beispiel: Objektbildung (§ 11 HOAI)

Die Frage, ob es sich um ein einheitliches oder mehrere getrennte Objekte handelt, ist in der Praxis sehr bedeutsam. Auch hier können sich die Umstände, die den Parteivorstellungen bei Vertragsschluss zugrunde lagen, nachträglich ändern. Und auch hier können sich Auslegungs- und Abgrenzungsfragen stellen.
Bsp: Der Architekt wird mit der Planung eines Krankenhauses beauftragt. Bestandteil der Vertragsunterlagen ist eine "Machbarkeitsstudie", die einen einzelnen Baukörper darstellt. Im Rahmen der Variantenuntersuchung stellt der Architekt neben der ursprünglich angedachten "Einhäusigkeit" auch eine Zwei-Haus-Lösung vor, die schließlich als Vorzugsvariante auserkoren und weiter beplant wird. Der Vertrag enthält eine Bestimmung, wonach das Honorar auch bei Vorliegen mehrerer Objekte nach der Summe der anrechenbaren Kosten zu berechnen sei. Der Architekt berechnet sein Honorar getrennt, was sein Auftraggeber unter Verweis auf den Vertrag ablehnt.

Ergibt die Auslegung des Vertrags, dass die Planung der "Einhäusigkeit" verbindliches Planungsziel ist, stellt der Übergang zur Zwei-Haus-Lösung eine Planungszieländerung im Sinne von §§ 650q Abs. 1, 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB dar. Über § 650q Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 10, 11 HOAI könnte sodann eine getrennte Honorierung in Betracht kommen. Ob bei der gegenteiligen Auslegung ( = "Einhäusigkeit" kein verbindliches Planungsziel) eine getrennte Honorierung im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung erreicht werden kann, erscheint indes zweifelhaft.

Fazit

Für eine nachträgliche Korrektur von objektiv unzutreffenden Honorarparametern im Wege der ergänzenden Vertragsauslegungen dürfte nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich vorhanden sein.

Lässt man eine AGB-Inhaltskontrolle am Maßstab der preisrechtlichen Regelungen der HOAI 2021 zu, stünde hingegen ein anderes, wesentlich potenteres Korrektiv zur Verfügung (dafür: Fuchs, FS Locher, 2022, S. 83 ff.; BeckHOAI/Berger, 3. Aufl., HOAI § 7 Rn. 150 ff.; dagegen: Kues/v. Kiedrowski/Bolz/Ryll, AGB-Klauseln in Bauverträgen, § 19, Rn. 35 ff.; BeckOK HOAI/Söns, Stand: 31.10.2022, HOAI § 7, Rn. 15; ebenfalls zweifelnd: Korbion/Mantscheff/Vygen/Rodemann, a.a.O., Rn. 31 ff.).

RA Thomas Ryll

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Thomas Ryll
(erstellt am 10.04.2024 um 09:55 Uhr)

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