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Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
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VK Sachsen, Beschluss vom 14.04.2023 - 1/SVK/003-23
1. Ist mit den Bewerbungsbedingungen klargestellt worden, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über eine Vergabeplattform erfolgen soll, dann muss sich der Auftraggeber hieran im Wege einer Selbstbindung festhalten lassen. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung, beispielsweise durch Versendung eines fristgebundenen Nachforderungsschreibens per E-Mail, ist dann ausgeschlossen.*)
2. Zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und dem jeweiligen Bieter kommt spätestens ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zu Stande, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet. Dieses verlangt gem. § 241 Abs. 2 BGB die Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dieser Verpflichtung widerspricht es, von einem mit den Bewerbungsbedingungen angekündigten Kommunikationsweg stillschweigend abzuweichen.*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Überprüfungspflichten des Auftraggebers entstehen erst, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an den Angaben des Bieters wecken könnten und sein Leistungsversprechen als nicht plausibel erscheinen lassen. In diesen Fällen muss der Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen effektiv zu verifizieren. Daneben tritt der im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und in der Beschwerdeinstanz gleichermaßen geltende Untersuchungsgrundsatz, der die Nachprüfungsinstanzen zur umfassenden Erforschung des für die geltend gemachte Rechtsverletzung relevanten Sachverhalts verpflichtet. In die Überprüfung einer angegriffenen Zuschlagsentscheidung können alle Gründe mit einbezogen werden, die Grundlage der Entscheidung der Vergabestelle gewesen sind.*)
4. Eine geringfügige Auslegungsbedürftigkeit der Leistungsbeschreibung stellt keinen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung dar, denn auch bei deren sorgfältiger Erstellung kann nie ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten, da jeder Begriff der Sprache auslegungsfähig ist und das genaue Verständnis stets vom Empfängerhorizont abhängt. Dies gilt für Ausschreibungen im Software- und Hardwarebereich, in denen es nur selten einheitlich definierte technische Vokabeln gibt, umso mehr. Würde man bei jeder noch so geringen Unklarheit dem Auftraggeber die Verantwortung aufbürden, bestünde die Gefahr, dass die Bieter durch geschickte Argumentation nachträglich Unklarheiten in die Leistungsbeschreibung hineininterpretieren könnten, um Vorteile aus diesem "Fehler der Vergabestelle" bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses zu generieren.*)