Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
10832 Entscheidungen insgesamt
Online seit 2022
IBRRS 2022, 3560VG Dresden, Beschluss vom 18.08.2022 - 4 L 433/22
1. Bei der Weiterleitung von Fördermitteln für den Breitbandausbau durch eine kommunale Gebietskörperschaft wird keine Dienstleistungskonzession vergeben.*)
2. Die Mitteilung über den Ausschluss vom Auswahlverfahren ist kein Verwaltungsakt.*)
VolltextIBRRS 2022, 3536
EuGH, Urteil vom 10.11.2022 - Rs. C-486/21
1. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Konzessionsvergabe in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2019/1827 der Kommission vom 30.10.2019 ist dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vorgang, durch den ein öffentlicher Auftraggeber mit der Einrichtung und Verwaltung eines Systems des Mietens und der gemeinschaftlichen Nutzung (Carsharing) von Elektrofahrzeugen einen Wirtschaftsteilnehmer zu betrauen beabsichtigt, dessen finanzieller Beitrag überwiegend für den Erwerb dieser Fahrzeuge verwendet wird, wobei die Einnahmen dieses Wirtschaftsteilnehmers hauptsächlich aus den von den Nutzern dieser Dienstleistung gezahlten Gebühren stammen werden, um eine „Dienstleistungskonzession“ handelt, da solche Merkmale zu belegen vermögen, dass das Risiko im Zusammenhang mit der Verwertung der konzessionierten Dienstleistungen auf diesen Wirtschaftsteilnehmer übertragen wurde.*)
2. Art. 8 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 ist dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Feststellung, ob der Schwellenwert für die Anwendbarkeit dieser Richtlinie erreicht ist, den „Gesamtumsatz ohne Mehrwertsteuer, den der Konzessionsnehmer während der Vertragslaufzeit erzielt“ unter Berücksichtigung der Gebühren, die die Nutzer an den Konzessionsnehmer entrichten werden, sowie der Beiträge und Kosten, die der öffentliche Auftraggeber tragen wird, zu schätzen hat. Der öffentliche Auftraggeber kann jedoch auch davon ausgehen, dass der für die Anwendung der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 vorgesehene Schwellenwert erreicht ist, wenn die Investitionen und Kosten, die vom Konzessionsnehmer allein oder zusammen mit dem öffentlichen Auftraggeber während der gesamten Laufzeit des Konzessionsvertrags zu tragen sind, diesen Schwellenwert offensichtlich überschreiten.*)
3. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Anhang V Nr. 7 Buchst. b und dem vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sowie mit Art. 4 und Anhang XXI Punkt III.1.1 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11. November 2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber als Eignungskriterium und für die qualitative Bewertung der Bewerber verlangen kann, dass die Wirtschaftsteilnehmer im Handels- oder Berufsregister eingetragen sind, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer seine Eintragung im entsprechenden Register in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, vorweisen darf.*)
4. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 27 dieser Richtlinie und Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2195/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 über das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV) ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt, im Handels- oder Berufsregister eines Mitgliedstaats der Union eingetragen zu sein, nicht auf das aus CPV-Codes bestehende Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge verweist, sondern auf die Klassifikation NACE Rev. 2, wie sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik eingeführt wurde.*)
5. Art. 38 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23 in der Fassung der Delegierten Verordnung 2019/1827 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 2 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht ohne Verstoß gegen den durch Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von jedem Mitglied eines befristeten Zusammenschlusses von Unternehmen verlangen kann, in einem Mitgliedstaat im Handels- oder Berufsregister eingetragen zu sein, um die Tätigkeit der Vermietung von Kraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t oder weniger auszuüben.*)
VolltextIBRRS 2022, 3517
EuGH, Urteil vom 10.11.2022 - Rs. C-631/21
Art. 59 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 63 dieser Richtlinie sowie Anhang 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 der Kommission vom 05.01.2016 zur Einführung des Standardformulars für die Einheitliche Europäische Eigenerklärung ist dahin auszulegen, dass ein Gemeinschaftsunternehmen, das - ohne eine juristische Person zu sein - die Form einer Gesellschaft hat, die dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Handelsregister eingetragen ist, sowohl vorübergehender als auch dauerhafter Natur sein kann und deren Gesellschafter auf dem gleichen Markt tätig sind wie das Unternehmen und gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Erfüllung der vom Unternehmen eingegangenen Verpflichtungen haften, dem öffentlichen Auftraggeber ausschließlich seine eigene Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) vorlegen muss, wenn es in eigenem Namen an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilnehmen oder ein Angebot abgeben möchte und den Nachweis erbringt, dass es den in Rede stehenden Auftrag ausschließlich mit eigenem Personal und Material ausführen kann. Meint das Gemeinschaftsunternehmen hingegen, für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags auf die Mittel bestimmter Gesellschafter zurückgreifen zu müssen, ist dies als eine Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen gemäß Art. 63 der Richtlinie 2014/24 zu betrachten, und das Unternehmen muss dann nicht nur seine eigene EEE, sondern auch eine EEE für jeden Gesellschafter vorlegen, dessen Kapazitäten es in Anspruch nehmen möchte.*)
VolltextIBRRS 2022, 3514
VK Bund, Beschluss vom 28.09.2022 - VK 1-79/22
Die Berücksichtigung eines Bieters, der das Angebot unter einer neu gegründeten Firma (hier: GmbH in Gründung) abgibt, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
VolltextIBRRS 2022, 3473
EuGH, Urteil vom 17.11.2022 - Rs. C-54/21
1. Art. 18 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 50 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, nach denen die den öffentlichen Auftraggebern von den Bietern übermittelten Informationen - mit Ausnahme allein der Geschäftsgeheimnisse - vollständig zu veröffentlichen oder den anderen Bietern mitzuteilen sind, sowie einer Praxis der öffentlichen Auftraggeber, die darin besteht, Anträgen auf vertrauliche Behandlung wegen Geschäftsgeheimnissen systematisch stattzugeben, entgegenstehen.*)
2. Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 sind dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber
- bei der Entscheidung darüber, ob er einem Bieter, dessen ordnungsgemäßes Angebot abgelehnt wurde, den Zugang zu den Informationen verweigert, die die anderen Bieter zu ihrer einschlägigen Erfahrung und den entsprechenden Referenzen, zur Identität und zu den beruflichen Qualifikationen der für die Ausführung des Auftrags vorgeschlagenen Personen oder von Unterauftragnehmern, zur Konzeption der Projekte, die im Rahmen des öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und zur Art und Weise seiner Ausführung vorgelegt haben, zu beurteilen hat, ob diese Informationen einen wirtschaftlichen Wert haben, der sich nicht auf den fraglichen öffentlichen Auftrag beschränkt, so dass ihre Offenlegung berechtigte geschäftliche Interessen oder den lauteren Wettbewerb beeinträchtigen kann;
- im Übrigen den Zugang zu diesen Informationen verweigern kann, wenn ihre Offenlegung, selbst wenn sie keinen solchen wirtschaftlichen Wert haben, den Gesetzesvollzug behindern würde oder sonst einem öffentlichen Interesse zuwiderliefe;
- dem Bieter, wenn der vollständige Zugang zu den Informationen verweigert wird, Zugang zum wesentlichen Inhalt der betreffenden Informationen gewähren muss, damit die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist.*)
3. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist im Licht ihres Art. 67 Abs. 4 dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Zuschlagskriterien das "Arbeitskonzept" für die Entwicklung der Projekte, die im Rahmen des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt werden sollen, und die "Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung" umfassen, sofern diese Kriterien mit Präzisierungen versehen sind, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen, die eingereichten Angebote konkret und objektiv zu beurteilen.*)
4. Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn bei der Behandlung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags festgestellt wird, dass der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, dem Rechtsbehelfsführer Informationen offenzulegen, die zu Unrecht als vertraulich behandelt wurden, und dass aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Informationen gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstoßen wurde, diese Feststellung nicht zwingend zum Erlass einer neuen Entscheidung über die Vergabe des Auftrags durch diesen Auftraggeber führen muss, sofern es das nationale Verfahrensrecht dem angerufenen Gericht erlaubt, während des Verfahrens Maßnahmen zu ergreifen, durch die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wieder gewahrt wird, oder davon auszugehen, dass der Rechtsbehelfsführer gegen die bereits ergangene Vergabeentscheidung einen neuen Rechtsbehelf einlegen kann. Die Frist für die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs darf erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Rechtsbehelfsführer Zugang zu allen Informationen hat, die zu Unrecht als vertraulich eingestuft worden waren.*)
VolltextIBRRS 2022, 3483
VK Bund, Beschluss vom 13.10.2022 - VK 1-83/22
1. Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber einen erkannten Fehler in seiner Ausschreibung behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit, die an die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden ist.
2. Während der Auftraggeber die Vergabeunterlagen vor Ablauf der Angebotsfrist unproblematisch ändern und den Bietern z. B. neue Angebotsfristen einräumen kann, ist eine später erfolgende Änderung im Wege einer Teilaufhebung der Ausschreibung, die der Korrektur eines zuvor begangenen Fehlers dient, durchzuführen.
3. Der öffentliche Auftraggeber muss vor dem Schritt zur (Voll-)Aufhebung stets die Möglichkeit der Aufrechterhaltung oder Heilung des Vergabeverfahrens prüfen.
4. Auch eine bereits erfolgte Submission im Offenen Verfahren schließt eine Fehlerkorrektur nicht aus.
VolltextIBRRS 2022, 3452
VK Nordbayern, Beschluss vom 20.01.2022 - RMF-SG21-3194-6-43
1. Erklärungen oder Nachweise, die körperlich vorliegen, aber nicht den Vorgaben des Auftraggebers entsprechen, "fehlen" nicht.
2. Der Auftraggebers kann nur fehlende Unterlagen nachfordern. Ein Bieter darf "fehlerhafte Unterlagen" nicht inhaltlich nachbessern.
VolltextIBRRS 2022, 3451
VK Bund, Beschluss vom 02.08.2022 - VK 2-64/22
1. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, das Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden. Er kann auf die Durchführung des Vergabeverfahrens verzichten, sofern er für diese Entscheidung einen sachlichen Grund hat und der Verzicht somit nicht willkürlich bzw. nur zum Schein erfolgt.
2. Hat der vom Auftraggeber zwingend vorgegebene Nachunternehmer seine Leistungsbereitschaft endgültig widerrufen, liegt ein sachlicher Grund für eine Aufhebung der Ausschreibung vor.
3. Eine wirksame Aufhebung ist dennoch in vergabeverfahrensrechtlicher Hinsicht rechtswidrig, wenn der Auftraggeber seine Entscheidung nicht auf einen in der einschlägigen Vergabeverordnung genannten Aufhebungsgrund stützen kann.
4. Ein Vergabeverfahren kann sanktionsfrei aufgehoben werden, wenn sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert haben. Voraussetzung ist, dass Umstände zugrunde liegen müssen, die zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar waren und vom öffentlichen Auftraggeber nicht zu verantworten sind.
IBRRS 2022, 3448
VK Bund, Beschluss vom 19.09.2022 - VK 2-80/22
1. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und damit eine Direktvergabe ohne vorherige unionsweite Auftragsbekanntmachung ist bei Dienstleistungsaufträgen ausnahmsweise zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Auftrag u. a. wegen seiner technischen Besonderheiten nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann.
2. Voraussetzung ist, dass der Auftrag durch technische Besonderheiten, etwa die Nutzung speziellen Know-Hows, spezieller Werkzeuge, Instrumente bzw. Gerätschaften, geprägt ist, derentwegen die Beauftragung eines bestimmten Unternehmens objektiv und ohne vernünftigen Zweifel alternativlos ist.
3. Um entscheiden zu können, ob zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung objektiv und ohne vernünftigen Zweifel ausschließlich ein bestimmtes Unternehmens zur Durchführung des (hier: Interims-)Auftrags in Betracht kommt, bedarf es einer entsprechenden Prüfung von Alternativen.
IBRRS 2022, 3413
VK Bund, Beschluss vom 28.09.2022 - VK 2-86/22
Ein Vergabenachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn das Begehren des Antragsstellers nicht darauf gerichtet ist, die Chancen auf den Zuschlagserhalt im streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu sichern, sondern er die Vergabe des ausgeschriebenen Auftrags verhindern will, um auf diese Weise die Erfüllung eines bereits geschlossenen Vertrags zu gewährleisten.
VolltextIBRRS 2022, 3414
VK Rheinland, Beschluss vom 26.05.2021 - VK 3/21
1. Gleichwertigkeit gem. § 7 EU Abs. 2 VOB/A 2019 bedeutet nicht Gleichheit i.S. einer Identität aller Beschaffungsmerkmale. Es kommt darauf an, hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale der Auftraggeber die Gleichwertigkeit fordert und nach welchen Parametern diese zu bestimmen ist.*)
2. Der Zusatz "oder gleichwertig" macht es im Einzelfall nicht entbehrlich, in den Ausschreibungsunterlagen Parameter für die Gleichwertigkeit angebotener Erzeugnisse festzulegen.*)
3. Der Auftraggeber hat einen Beurteilungsspielraum bei der Gleichwertigkeitsprüfung.*)
4. Kann nicht geklärt werden, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss vorliegen, trägt im Ausgangspunkt derjenige die Feststellungslast, der sich auf den Ausschlussgrund beruft.*)
IBRRS 2022, 3400
VK Rheinland, Beschluss vom 07.06.2022 - VK 4/22
1. Ein im Zusammenhang mit der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu prüfendes Unterkriterium ist die Erfahrung aus früher ausgeführten Aufträgen.*)
2. Der öffentliche Auftraggeber kann sich Ansprechpartner und Kontaktdetails nennen lassen, um bei den Referenzgebern Informationen über die Eignung der Unternehmen einzuholen.*)
3. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Referenzen ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.*)
4. Im Rahmen der Eignungsleihe nach § 47 VgV ist es auch zulässig, dass ein Bieter (als Generalunternehmer) sämtliche Leistungen von Nachunternehmern erbringen lässt.*)
5. Etwaige Eignungsmängel des (im Rahmen der Eignungsleihe) benannten Dritten schlagen unmittelbar auf den Bieter durch.*)
6. Es gibt (für den öffentlichen Auftraggeber) Zumutbarkeitsgrenzen hinsichtlich der Erkenntnissicherheit über die Eignung. Selbst Umstände, die eine fehlende Eignung begründen, müssen nicht mit einer prozessualen Tatsachenfeststellungen Genüge leistenden Gewissheit feststehen.*)
IBRRS 2022, 3382
VK Bund, Beschluss vom 04.10.2022 - VK 1-81/22
1. Eine Pflicht zur Aufhebung der Ausschreibung besteht nur dann, wenn ein Abschluss des Vergabeverfahrens nicht auf andere Weise vergaberechtskonform möglich ist.
2. Ein Verstoß gegen die Vertraulichkeit durch die Bekanntgabe der Gesamtpreise der Angebote aus einer vorangegangenen Ausschreibung ist jedenfalls dann kein Grund zur Aufhebung der Ausschreibung, wenn die Preise ohnehin in der Fachpresse publiziert wurden.
3. Eine Aufhebung und Neuausschreibung ist kein taugliches Mittel zur Beseitigung einen Verstoßes gegen die Vertraulichkeit und den Geheimwettbewerb, wenn die zu Unrecht erlangten wettbewerblichen Vorteile bei einer Neuausschreibung fortbestehen.
4. Wenn ein Bieter nach einer Rüge, der der Auftraggeber nicht abgeholfen hat jedoch weiterhin meint, der Auftraggeber handele rechtswidrig, darf er keine weitere Rüge erheben, sondern muss innerhalb von 15 Kalendertagen ein Nachprüfungsverfahren einleiten.
VolltextIBRRS 2022, 3371
VK Westfalen, Beschluss vom 09.11.2022 - VK 3-42/22
1. Für eine Änderung der Vergabeunterlagen ist es nicht erforderlich, dass der Wortlaut der Ausschreibung - etwa durch Ergänzungen oder Streichungen - abgeändert wird.*)
2. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt regelmäßig dann vor, wenn das Unternehmen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweicht, im Ergebnis ein Aliud, also eine andere als die ausgeschriebene Leistung, anbietet.*)
3. Maßgeblicher Bedeutung kommt bei der Frage, ob Vergabeunterlagen geändert wurden, der Leistungsbeschreibung zu.*)
4. Zwar muss die Leistungsbeschreibung eindeutig sein. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Leistungsbeschreibung zwingend nur eine Auslegungsmöglichkeit enthält. Die Sprache selbst ist selten völlig eindeutig und das Verständnis stets auch vom Empfängerhorizont mitbestimmt. Auch bei sorgfältiger Erstellung einer Leistungsbeschreibung kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten.*)
5. Ob mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Leistungsbeschreibung ist Teil des anzubahnenden Vertragswerks für den Auftrag. Auf sie finden die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB Anwendung.*)
6. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen dann, wenn auch nach Auslegungsbemühungen durch fachkundigen Unternehmen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.*)
7. Über die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch den öffentlichen Auftraggeber kann nicht schematisch, sondern stets nur auf der Grundlage einer differenzierten Betrachtung des Einzelfalles entschieden werden.*)
8. Maßgeblich ist, ob der Beteiligte unter den konkreten Umständen des Falles auch selbst befähigt wäre, auf Grund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine (angebliche) Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Nachprüfungsinstanz vorzutragen.*)
9. Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante Prognose zu treffen. Dabei kann ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen.*)
IBRRS 2022, 3351
OLG Rostock, Beschluss vom 01.09.2022 - 17 Verg 2/22
1. Vorschriften des BuchPrG zählen nicht unmittelbar zu den Bestimmungen über das Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 6 GWB; im Nachprüfungsverfahren kommt jedoch ihre inzidente Berücksichtigung im Hinblick auf vorgelagerte Rechtsfragen über vergaberechtliche Anknüpfungs- oder Brückennormen in Betracht (Anschluss an OLG München, Beschluss vom 19.12.2007 - Verg 12/07, IBRRS 2007, 5064 = VPRRS 2007, 0435).*)
2. Spricht die Wortbedeutung einer „Anschaffung“ in § 7 Abs. 3 BuchPrG für die Auslegung, dass Eigentum der öffentlichen Hand von gewisser Dauer erworben werden muss, hat sich ein entsprechend zu bestimmender Zeitraum mit an der Dauer der Verwendbarkeit des jeweiligen Druckerzeugnisses zu orientieren; daher sind Preisnachlässe auch für Sammelbestellungen von Arbeitsheften zu gewähren, wenn diese nach Ablauf eines Schuljahres wegen der vorgenommenen Eintragungen nicht mehr wiederverwendet werden können und sie den Schülern erst nach einem solchen Zeitraum zu deren Eigentum überlassen werden.*)
3. Allein aus der Hervorhebung des Nachhaltigkeitsnachweises im Rahmen einer Aufzählung der anzubietenden Serviceleistungen durch Fettdruck ergibt sich für den Bieter nicht ausreichend eindeutig und unmissverständlich, dass eine Vorlage schon mit der Einreichung des Angebots erfolgen müsse.*)
IBRRS 2022, 3332
VK Sachsen, Beschluss vom 02.09.2022 - 1/SVK/015-22
1. Das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession lässt sich bei einer Übernahme der Verpflichtung zur Breitbandversorgung nicht mit dem Argument verneinen, der Gemeinde stehe kein originäres Nutzungs- bzw. Verwertungsrecht zu, das sie "übertragen" könnte und das die Gegenleistung des zu schließenden Vertrags darstellen könnte".*)
2. Maßgeblich ist lediglich, dass das Recht zur wirtschaftlichen Verwertung der Leistung das Pendant für die Erbringung der Dienstleistung darstellt. Das Merkmal der Entgeltlichkeit muss durch dieses Recht anstelle einer geldwerten Vergütung erfüllt resp. ersetzt sein. Dass der Rechtsgedanke der Gegenleistung nur dann erfüllt wäre, wenn eine Rechteeinräumung unmittelbar durch und von dem Auftraggeber erfolgt, ist dem Wortlaut des § 105 GWB so konkret nicht zu entnehmen und würde auch Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/23/EU widersprechen, der gerade nicht verlangt, dass ein Eigentumsübergang des Beschaffungsgegenstands auf den öffentlichen Auftraggeber erfolgt.*)
3. Maßgeblich ist der Gesamtkontext, sowie eine funktionale und den Gegenstand des Vertrags in den Blick nehmende Betrachtung der prägenden Elemente des letztendlich zu Stande kommenden Vertrags. Entscheidend ist dabei, dass die Erschließung von Gebieten mit Breitbandinternetanschlüssen und damit die Betrauung eines Telekommunikationsdienstleistungsunternehmens mit Dienstleistungen überhaupt erst auf Initiative des öffentlichen Auftraggebers hin "auf den Markt gebracht", durch die Gewährung der staatlichen Zuwendungen überhaupt erst finanziert wird und letztlich rechtlich erst dadurch möglich wird, dass der öffentliche Auftraggeber einer Eigentumsnutzung seiner Straßeninfrastruktur etc. überhaupt zustimmt. Denn der Konzessionsnehmer erlangt erst durch Abschluss des Wegenutzungsvertrags eine Rechtsposition, die zur Ausübung der Tätigkeiten im Allgemeininteresse zwingend geboten ist, da ohne das Wegenutzungsrecht das Breitbandnetz nicht errichtet oder betrieben werden könnte.*)
4. Eine enge Auslegung des Wortlautes für das Eingreifen einer Bereichsausnahme des § 149 Nr. 8 GWB würde dem Sinn und Zweck der Norm widersprechen. Insbesondere ist die Norm nicht nur auf den Anwendungsfall begrenzt, in dem der Konzessionsgeber öffentliche Kommunikationsnetze selbst bereitstellt oder gar selbst betreibt, sondern auch einschlägig, wenn er sich dazu externer Dritter bedient. Dafür spricht der Wortlaut der Norm, wonach es dem Auftraggeber "ermöglicht" werden soll, öffentliche Kommunikationsnetze bereitzustellen.*)
5. Für einen Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB ist es nicht notwendig, dass das Unternehmen, das einen Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung stellen möchte, zu dem Nachprüfungsverfahren bereits förmlich beigeladen wurde, denn eine derartige Einschränkung enthält § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht.*)
6. Ist bis zur Entscheidung der Vergabekammer in der Hauptsache gem. § 168 Abs. 1 GWB über einen Antrag auf Gestattung der vorzeitigen Erteilung des Zuschlags noch nicht entschieden, hat sich dieser Antrag erledigt.*)
VolltextIBRRS 2022, 3331
BGH, Urteil vom 13.09.2022 - XIII ZR 9/20
1. Versteht der Bieter die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses falsch und gibt daher den deutlich höheren Preis einer Leistung an, die nach dem Leistungsverzeichnis gar nicht zu erbringen ist, enthält sein Angebot nicht den geforderten Preis, so dass es gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016 auszuschließen ist.*)
2. Aufklärung über die Preiskalkulation eines Nachunternehmers kann jedenfalls dann verlangt werden, wenn zu klären ist, ob das Angebot den Vorgaben im Leistungsverzeichnis entspricht.*)
IBRRS 2022, 3325
VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2022 - 3194.Z3-3_01-21-62
1. Beantwortet ein öffentlicher Auftraggeber eine Bieterfrage nicht eindeutig, so kann ein Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden.*)
2. Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und § 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 (IBR 2018, 343, zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte ist die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering.*)
IBRRS 2022, 3314
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.08.2022 - 5 LB 9/20
1. Ein Zuwendungsbescheid kann ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Bescheid eine Auflage (hier: die Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts) verbunden ist und der Begünstigte diese nicht erfüllt hat.
2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheids in Betracht kommt.*)
IBRRS 2022, 3282
EuGH, Urteil vom 27.10.2022 - Rs. C-84/21
1. Art. 10 Abs. 2, Art. 19 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) sind dahin auszulegen, dass sie es einem öffentlichen Auftraggeber verwehren, im Rahmen einer Ausschreibung für die Lieferung von Ersatzteilen für Omnibusse, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind, ein Angebot zu akzeptieren, mit dem Bauteile angeboten werden, die unter einen Bauteiltyp fallen, auf den sich die in Anhang IV der Richtlinie 2007/46 aufgeführten Rechtsakte beziehen, ohne dass eine Bescheinigung beigefügt ist, die die Genehmigung dieses Bauteiltyps belegt, und ohne dass Informationen über das tatsächliche Bestehen einer solchen Genehmigung erteilt werden, sofern diese Rechtsakte eine solche Genehmigung vorsehen.*)
2. Die Art. 60 und 62 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG sind dahin auszulegen, dass sie es in Anbetracht der Definition des Begriffs "Hersteller" in Art. 3 Nr. 27 der Richtlinie 2007/46 einem öffentlichen Auftraggeber verwehren, im Rahmen einer Ausschreibung für die Lieferung von Ersatzteilen für Omnibusse, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind, als Nachweis der Gleichwertigkeit von Bauteilen, die unter die in Anhang IV der Richtlinie 2007/46 aufgeführten Rechtsakte fallen und vom Bieter angeboten werden, eine von diesem Bieter abgegebene Erklärung der Gleichwertigkeit zu akzeptieren, wenn dieser Bieter nicht als Hersteller dieser Bauteile angesehen werden kann.*)
VolltextIBRRS 2022, 3281
EuGH, Urteil vom 27.10.2022 - Rs. C-68/21
1. Art. 10 Abs. 2, Art. 19 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) sind dahin auszulegen, dass sie es einem öffentlichen Auftraggeber verwehren, im Rahmen einer Ausschreibung für die Lieferung von Ersatzteilen für Omnibusse, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind, ein Angebot zu akzeptieren, mit dem Bauteile angeboten werden, die unter einen Bauteiltyp fallen, auf den sich die in Anhang IV der Richtlinie 2007/46 aufgeführten Rechtsakte beziehen, ohne dass eine Bescheinigung beigefügt ist, die die Genehmigung dieses Bauteiltyps belegt, und ohne dass Informationen über das tatsächliche Bestehen einer solchen Genehmigung erteilt werden, sofern diese Rechtsakte eine solche Genehmigung vorsehen.*)
2. Die Art. 60 und 62 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG sind dahin auszulegen, dass sie es in Anbetracht der Definition des Begriffs "Hersteller" in Art. 3 Nr. 27 der Richtlinie 2007/46 einem öffentlichen Auftraggeber verwehren, im Rahmen einer Ausschreibung für die Lieferung von Ersatzteilen für Omnibusse, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind, als Nachweis der Gleichwertigkeit von Bauteilen, die unter die in Anhang IV der Richtlinie 2007/46 aufgeführten Rechtsakte fallen und vom Bieter angeboten werden, eine von diesem Bieter abgegebene Erklärung der Gleichwertigkeit zu akzeptieren, wenn dieser Bieter nicht als Hersteller dieser Bauteile angesehen werden kann.*)
IBRRS 2022, 3257
OVG Sachsen, Beschluss vom 13.10.2022 - 4 B 241/22
1. Das Auswahlverfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession, die die Vergabe von Zuwendungen zur Erschließung bislang unterversorgter Gebiete mit schnellen Gigabit-Breitbandinternetanschlüssen zum Gegenstand hat, darf in Anlehnung an die kartellvergaberechtlichen Regelungen gestaltet werden. Der Auftraggeber kann dann die Vorschriften der KonzVgV und der VgV anwenden.
2. Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden von der Wertung ausgeschlossen. Auf eine tatsächliche oder konkrete Wettbewerbsrelevanz der betroffenen Angebotsinhalte kommt es nicht an, formal ist jede Abweichung gleichwertig.
VolltextIBRRS 2022, 3256
EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - Rs. C-332/20
1. Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)
2. Art. 38 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2366 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von dem Verfahren zur Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession an diese Gesellschaft mit der Begründung ausschließen kann, dass, wenn er ihn als Mitgesellschafter auswählen würde, seine nach den Ausschreibungsunterlagen höchstzulässige Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft wegen seiner mittelbaren Beteiligung an ihm faktisch überschritten würde, sofern sein wirtschaftliches Risiko dadurch zunimmt.*)
VolltextIBRRS 2022, 3231
VK Lüneburg, Beschluss vom 22.08.2022 - VgK-15/2022
1. Der Einwand der unzureichenden Bieterinformation nach § 134 GWB kann zwar den Zugang zum Nachprüfungsverfahren eröffnen, nicht aber eine Maßnahme nach § 168 GWB rechtfertigen, weil der Zweck des § 134 GWB regelmäßig mit einem fristgerechten Nachprüfungsantrag vor Zuschlagserteilung erschöpft ist. Das Argument der angeblich unzureichenden Bieterinformation erscheint daher zumindest im vorliegenden Fall überbewertet.*)
2. Es ist eine überflüssige Förmelei, dass der öffentliche Auftraggeber den Verfahrensschritt nach § 134 GWB wiederholt. Eine Anordnung der Vergabekammer zur Wiederholung der Bieterinformation mit inzwischen bekanntem Inhalt aber neu anlaufenden Fristen verstieße gegen das Beschleunigungsgebot aus § 163 Abs. 1 Satz 4 GWB.*)
3. Ein Bieter hat keinen Anspruch darauf, dass der öffentliche Auftraggeber ein Leistungsversprechen nach Angebotsabgabe durch ein Sachverständigengutachten prüfen lässt. Referenzen werden als Eigenerklärung abgegeben. Abfragen des Auftraggebers beim Referenzgeber dienen der Referenzprüfung, nicht der Erstellung der Referenz.
IBRRS 2022, 3229
VK Lüneburg, Beschluss vom 14.07.2022 - VgK-12/2022
Bloße Stichworte ohne nähere Ausführungen genügen nicht für die nachvollziehbare Begründung eines Punktabzugs.
IBRRS 2022, 3206
VK Sachsen, Beschluss vom 26.02.2021 - 1/SVK/42-20
1. Hat ein Auftraggeber für seine Gesamtbaumaßnahme insgesamt 62 Lose gebildet, so kommt es für die Möglichkeit, aus wirtschaftlichen Gründen von der Bildung weiterer Lose abzusehen, darauf an, ob der durch die Bildung eines Kleinstloses entstehende Aufwand unverhältnismäßig wäre und zu unwirtschaftlichen Auftragsgrößen führen würde.*)
2. Entfallen auf den Anteil von Gerüstbauarbeiten ca. 1% des Auftrages im Verhältnis zur Gesamtbaumaßnahme, so ist von einer unwirtschaftlichen Auftragsgröße auszugehen.*)
3. Liegt eine Konkurrenz zwischen dem vergaberechtlichen Gebot der Produktneutralität und dem der Fachlosbildung vor und entscheidet sich der Auftraggeber dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung den Vorrang zu gegeben, ist dies vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, wenn sodann die Gerüstbauarbeiten der Wahl der Fassadenplatte, samt Unterkonstruktion und den sich daraus folgenden technischen Zwangspunkten zu folgen haben und in einem gemeinsamen Los mit der Fassadenkonstruktion zusammengefasst werden.*)
VolltextIBRRS 2022, 3202
VK Lüneburg, Beschluss vom 19.09.2022 - VgK-16/2022
1. Im Rahmen einer E-Vergabe hat die gesamte Bieterkommunikation in "Textform" stattzufinden.
2. An die Textform werden erheblich geringere Anforderungen als an die Schriftform gestellt. Die Textform verlangt die Nennung der Person des Erklärenden. Gleichgültig ist, wo der Name des Erklärenden genannt wird. Möglich ist also eine Nennung in einer faksimilierten Unterschrift, aber etwa auch im Kopf oder Inhalt der Erklärung.
3. Die Textform kann ihre Funktion - Information und Dokumentation von Erklärungen - nur dann erfüllen, wenn für den Empfänger ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich bindend sein soll und vollständig ist. Daher muss bei der Textform der Abschluss der Erklärung erkennbar gemacht werden.
4. Die Kenntlichmachung des Abschlusses der Erklärung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch die Nennung des Namens am Textende, ein Faksimile, eine eingescannte Unterschrift, den Zusatz "Diese Erklärung ist nicht unterschrieben", aber auch durch eine Datierung oder eine Grußformel.
5. Lässt sich der Aussteller eines Schreibens sowohl der E-Mail-Adresse im Briefkopf als auch dem abgedruckten Namen unter der Grußformel entnehmen, genügt das Schreiben dem Textformerfordernis.
6. ...
IBRRS 2022, 3185
EuGH, Urteil vom 13.10.2022 - Rs. C-437/21
Die Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 07.12.1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage), insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Gleichstellung von Fährdiensten mit Eisenbahnverkehrsdiensten zum Gegenstand hat, wenn diese Gleichstellung zur Folge hat, dass die betreffende Dienstleistung von der Anwendung der Regelung über die Vergabe öffentlicher Aufträge, die für sie gilt, ausgenommen wird.*)
VolltextIBRRS 2022, 3173
BayObLG, Beschluss vom 20.10.2022 - Verg 1/22
1. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.
2. Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig anzusehen ist, kann nicht schematisch beantwortet werden. Über sie ist vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
3. Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante Prognose zu treffen, wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann.
4. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber ist regelmäßig nicht notwendig, wenn in einer vergaberechtlichen Angelegenheit lediglich einfach gelagerte, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen - auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze - in Rede stehen, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann.
5. Während tatsächliche auftragsbezogene Fragen aus Sicht der Vergabestelle eher als einfach anzusehen sind, spricht das Hinzutreten nicht einfacher, insbesondere rechtlich noch ungeklärter oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnender Rechtsfragen tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung.
VolltextIBRRS 2022, 3160
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.01.2022 - 1 VK 64/21
1. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Auftragswertschätzung durch den Auftraggeber zum maßgebenden Zeitpunkt, ist die Vergabekammer zur eigenständigen Wertermittlung berechtigt und verpflichtet.
2. Maßgebend ist der Verkehrs- oder Marktwert, zu dem eine bestimmte Leistung zu dem für die Kostenschätzung maßgebenden Zeitpunkt zu erwerben ist. Dabei kommt den eingegangenen Angeboten für die Schätzung entscheidende Bedeutung zu.
3. Da die HOAI kein verbindliches Preisrecht und dementsprechend keine verbindlichen Regelungen für die Berechnung der Entgelte für bestimmte Leistungen enthält, besteht bei der Schätzung des voraussichtlichen Honorarvolumens für eine Berechnung ausgehend von geschätzten anrechenbaren Kosten auf Basis der Vergütungssystematik der HOAI kein zwingender Grund mehr.
4. Kann mit Preisangeboten unterhalb der Vergütungssystematik der HOAI gerechnet werden, darf die Auftragswertschätzung hierauf gestützt werden.
5. ...
VolltextIBRRS 2022, 3131
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.2022 - 1 VK 63/21
1. Der öffentliche Auftraggeber hat das Vergabeverfahren von Beginn an fortlaufend in Textform zu dokumentieren, soweit dies für die Begründung von wesentlichen Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist.
2. Hierzu gehört auch, dass er seine Entscheidung, welchen Beschaffungsbedarf er sieht, wie er ausschreiben möchte (z.B. im Verhandlungsverhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb) und mit welchen Rahmenbedingungen (z.B. ohne Losaufteilung), vor Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung niederschreibt.
3. Die Dokumentation muss von sich aus den Zeitpunkt des Erstellens erkennen lassen.
4. Eine Gesamtvergabe darf nur in Ausnahmefällen erfolgen. Ein Ausnahmefall kann eröffnet sein, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe es erfordern, dass mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden.
5. Nach Festlegung des Beschaffungsgegenstands muss sich der öffentliche Auftraggeber in einer umfassenden Abwägung mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe auseinandersetzen. Die erforderliche Abwägung und Begründung der Entscheidung ist zu dokumentieren.
IBRRS 2022, 3111
BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 - Verg 16/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Verfahren ausschließen, wenn es fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. Das gilt für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber.
2. Irreführend ist eine Information, wenn sie bei objektiver Betrachtung dazu geeignet ist, beim öffentlichen Auftraggeber einen Irrtum über deren Inhalt hervorzurufen. Hierunter fallen vorrangig Erklärungen, die bereits für sich genommen nicht der Wahrheit entsprechen, in Betracht kommen auch Angaben, die aufgrund der Umstände falsch zu verstehen sind.
3. Nicht jede Widersprüchlichkeit oder Unklarheit eines Angebots, eines Teilnahmeantrags oder einer sonstigen Erklärung eines Unternehmens im Vergabeverfahren, die einer Aufklärung zugänglich ist, kann bereits für sich genommen als (versuchte) Irreführung des Auftraggebers aufgefasst werden.
4. Angaben zu missverständlichen, mehrdeutigen oder unklaren Vorgaben sind nicht ohne weiteres objektiv falsch bzw. irreführend. Auch bei unvollständigen oder lückenhaften Angaben ist kritisch zu prüfen, ob ihnen ein konkreter, irreführender Aussagegehalt beigemessen werden kann.
5. ...
IBRRS 2022, 3105
VK Südbayern, Beschluss vom 04.08.2022 - 3194.Z3-3_01-22-1
1. Erschwert der Auftraggeber die Inanspruchnahme von effektiven Rechtsschutz der Bieter dadurch unzumutbar, dass er die 10-tägige Wartefrist nach § 134 Abs. 1 GWB so über Feiertage und Wochenenden legt, dass einem Bieter für die Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag praktisch nur vier bis fünf Arbeitstage verbleiben, wird die Frist nicht wirksam in Lauf gesetzt (OLG Düsseldorf, VPR 2015, 48 = IBR 2015, 24, und VPR 2017, 36 = IBR 2017, 34).*)
2. Der Zeitraum für die Überprüfung der Vergabe und der Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag kann auch dadurch unzulässig faktisch verkürzt werden, dass der Auftraggeber neben Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen auch die beiden einzigen Werktage im Jahr, an denen die Vergabekammer dienstfrei hat (24.12. und 31.12.) und an denen kein Nachprüfungsantrag gestellt werden kann, in die Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB einbezieht.*)
3. Ob eine unzumutbare Erschwerung des effektiven Rechtsschutzes der Bieter vorliegt, ist an den Umständen des Einzelfalls zu messen.*)
IBRRS 2022, 3103
VK Südbayern, Beschluss vom 05.08.2022 - 3194.Z3-3_01-22-29
1. Gemäß § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A 2019 bestimmt der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter an ihre Angebote gebunden sind (Bindefrist).*)
2. Die Bestimmung der Bindefrist liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. Dieses Ermessen hat er danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden soll, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote gem. §§ 16 EU bis 16d EU benötigt.*)
3. Die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde können eine mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist darstellen (vgl. BGH, IBR 1992, 87).*)
4. Bindefristen die die Regelfrist von 60 Kalendertagen gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A 2019 um mehr als das Doppelte übersteigen sind nur ganz ausnahmsweise mit besonderer Begründung zulässig. Auch in sehr großen Kommunen mit aufwändigen internen Abläufen zur internen Willensbildung dürfen so lange Bindefristen nicht zum Regelfall werden.*)
5. Gerade in Zeiten mit kurzfristigen hohen Preisschwankungen und Fachkräftemangel sind die Interessen der Bieter bei der Festsetzung der Bindefrist besonders zu berücksichtigen, um ihnen kein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 aufzuerlegen.*)
IBRRS 2022, 3058
VK Bund, Beschluss vom 13.07.2022 - VK 2-62/22
Wird das Vergabeverfahrens nach Bekanntgabe des Bieterfragen- und Antwortenkatalogs zurückversetzt und führt der Auftraggeber unter Bezugnahme auf die erste Angebotsrunde eine neue Angebotsrunde mit neuer Leistungsbeschreibung durch, dürfen der Bieter darauf vertrauen, dass die bereits eingereichten Angebotsmuster weiterverwendet werden können und es ausreichend ist, die im Rahmen der ersten Angebotsrunde beanstandeten Punkte an den Angebotsmustern nachzubessern.
VolltextIBRRS 2022, 3044
VK Südbayern, Beschluss vom 21.07.2022 - 3194.Z3-3_01-21-78
1. Die Verpflichtung eines Wettbewerbsteilnehmers zur Wahrung der Anonymität der Wettbewerbsarbeit verbietet nicht grundsätzlich einen bereits veröffentlichten Entwurf nahezu unverändert (erneut) in einen Wettbewerb einzubringen.*)
2. Solange während der Preisgerichtssitzungen oder der Bewertung der Wettbewerbsarbeiten die Identität des Bieters nicht offenkundig wird, bleibt die Anonymität der Wettbewerbsarbeit gewahrt. Dies gilt auch, wenn einzelnen Mitgliedern des Preisgerichts die Ähnlichkeit der Wettbewerbsarbeit mit einer bereits bekannten Arbeit auffällt, solange die Grenze zur Befangenheit nicht überschritten wird.*)
3. Die Protokolle der Vorbesprechung des Preisgerichts und der Preisgerichtssitzung haben negative Beweiskraft. Wird darin nicht erwähnt, dass über eine für die Durchführung des Wettbewerbs bedeutsame Sache gesprochen oder diskutiert wurde, so ist davon auszugehen, dass ein Austausch darüber auch nicht stattfand.*)
IBRRS 2022, 3038
BayObLG, Beschluss vom 07.09.2022 - Verg 8/22
1. Im Vergabenachprüfungsverfahren kann sich der Beschwerdegegner bis zum Ablauf der ihm gesetzten Frist zur Beschwerdeerwiderung der Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer anschließen.
2. Der Anschlussbeschwerdeführer trägt keine Kosten, wenn sein Rechtsmittel wegen einer Prozesshandlung des Beschwerdeführers seine Wirkung verloren hat.
3. Dem Rechtsmittelführer sind die Kosten des Anschlussrechtsmittels dann nicht aufzuerlegen, wenn das Anschlussrechtsmittel von "vornherein unzulässig" war.
VolltextIBRRS 2022, 3036
VK Nordbayern, Beschluss vom 24.05.2022 - RMF-SG21-3194-7-9
Ein Unternehmen kann selbst dann öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB sein, wenn die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art im Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
VolltextIBRRS 2022, 3019
EuGH, Urteil vom 15.09.2022 - Rs. C-669/20
1. Die Art. 38 und 49 der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG sind wie folgt auszulegen: Ein öffentlicher Auftraggeber muss im Fall des Verdachts, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Aspekte der Ausschreibung und der Verdingungsunterlagen prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist, ohne dass es insoweit auf die Nichtanwendbarkeit der in nationalen Rechtsvorschriften hierfür vorgesehenen Kriterien und die Zahl der eingereichten Angebote ankäme.*)
2. Art. 55 Abs. 2 der Richtlinie 2009/81/EG i.V.m. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist wie folgt auszulegen: Die Beurteilung eines öffentlichen Auftraggebers kann, wenn dieser kein Überprüfungsverfahren im Hinblick darauf eingeleitet hat, ob möglicherweise ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt, weil er davon ausgegangen ist, dass keines der bei ihm eingereichten Angebote ungewöhnlich niedrig sei, im Rahmen der Anfechtung der Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags einer gerichtlichen Nachprüfung unterliegen.*)
IBRRS 2022, 3011
VK Bund, Beschluss vom 20.07.2022 - VK 2-60/22
1. Verzögerungen in einem regulären Vergabeverfahren stellen keinen Fall einer akuten Gefahrensituation und keinen Fall der höheren Gewalt dar.
2. Verzögerungen in einem regulären Vergabeverfahren sind regelmäßig dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen, ohne dass es dabei auf ein Verschulden im engeren Sinn ankäme. Der öffentliche Auftraggeber ist Herr des Vergabeverfahrens. Die Abläufe sind seiner Sphäre zuzurechnen.
IBRRS 2022, 2962
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2022 - Verg 5/22
1. Im Rahmen des Unterliegensprinzips des § 182 Abs. 3 GWB kommt es auf eine materielle Betrachtung der von den Beteiligten verfolgten Ziele und des Verfahrensausgangs an.
2. Ein Unterliegen richtet sich nicht schematisch nach den gestellten Anträgen, sondern primär nach der Erreichung des Verfahrensziels in wirtschaftlicher Hinsicht.
3. Der Antragsteller erreicht sein (erklärtes) Verfahrensziel vollumfänglich, wenn dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung untersagt und aufgegeben worden ist, das Angebot der Antragstellers bei einer etwaigen Zuschlagsentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu berücksichtigen.
VolltextIBRRS 2022, 2968
VK Bund, Beschluss vom 31.08.2022 - VK 2-72/22
1. Ein Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren nur antragsbefugt, wenn er darlegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
2. Bezugspunkt des Schadens hat ein Nachteil zu sein, der kausal auf den Vergabefehler zurückgeht. Im Entgehen einer zweiten Chance liegt kein Schaden, wenn der Vergabefehler nicht ursächlich für die Nichtberücksichtigung des Angebots war.
3. Führt der öffentliche Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung keine Eignungskriterien auf, liegt zwar ein Vergaberechtsverstoß vor. Eine Gesamtbetrachtung des Vorgangs kann aber ergeben, dass es sich um keinen schwer wiegenden Vergabefehler handelt (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, IBR 2018, 640).
VolltextIBRRS 2022, 2931
VK Bund, Beschluss vom 23.08.2022 - VK 2-66/22
1. Zuschlagskriterien haben hinreichend bestimmt zu sein. Eine Grenze ist dann erreicht, wenn die aufgestellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, auf deren Grundlage das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird, und sie in Folge dessen auch vor einer willkürlichen und/oder diskriminierenden Angebotswertung nicht mehr effektiv geschützt sind.
2. Details zur Prüfungskommission und deren Arbeitsweise muss der öffentliche Auftraggeber nicht vorab bekanntgeben.
VolltextIBRRS 2022, 2891
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.06.2022 - Verg 36/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.
2. Der Begriff "Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit" umfasst jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Glaubwürdigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers hat.
3. Eine Form beruflichen Fehlverhaltens stellt die Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums dar, weshalb die Verletzung eines fremden gewerblichen Schutzrechts wie eines Patentrechts eine schwere berufliche Verfehlung darstellen kann.
4. Ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, wird nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren ausgeschlossen, wenn es dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Bundeskartellamt nachgewiesen hat, dass es für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
5. Eines Schadensausgleichs bedarf es nicht, wenn durch die Straftat kein ausgleichungsfähiger materieller Schaden verursacht wurde.
IBRRS 2022, 2887
EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - Rs. C-275/21
1. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer gemäß Art. 33 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG dem Abschluss des in Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung genannten Vertrags entspricht.*)
2. Art. 33 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber für die Vergabe eines neuen Auftrags nicht mehr auf eine Rahmenvereinbarung, bei der die darin festgelegte Höchstmenge und/oder der darin festgelegte Höchstwert der betreffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen bereits erreicht worden ist bzw. sind, stützen kann, es sei denn, die Vergabe dieses Auftrags führt zu keiner wesentlichen Änderung der Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 72 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie.*)
3. Der Äquivalenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und Nachprüfungsanträge in Vergabeverfahren Verfahrensvorschriften vorsieht, die sich von denjenigen unterscheiden, die u. a. für Zivilverfahren gelten.*)
4. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der es dem Rechtsuchenden obliegt, in seinem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder in seinem Nachprüfungsantrag das betreffende Vergabeverfahren und die von ihm beanstandete gesondert anfechtbare Entscheidung zu benennen, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung entschieden hat und die Vergabebekanntmachung noch nicht veröffentlicht worden ist.*)
5. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen,
- dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Gericht, das mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit dem Beschaffungen des öffentlichen Auftraggebers verhindert werden sollen, befasst ist, ausschließlich zum Zweck der Berechnung der Pauschalgebühren - die der Antragsteller insofern zwingend zu entrichten hat, als sonst sein Antrag allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden könnte - vor der Entscheidung über diesen Antrag die Art des betreffenden Vergabeverfahrens, den (geschätzten) Wert des fraglichen Auftrags sowie die Summe der gesondert anfechtbaren Entscheidungen bzw. allenfalls auch die Lose aus dem betreffenden Vergabeverfahren ermitteln muss, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung entschieden hat und die Vergabebekanntmachung zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Aufhebung einer Entscheidung im Zusammenhang mit diesem Verfahren noch nicht veröffentlicht worden ist;
- dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Gericht, das mit einem Nachprüfungsantrag, der auf die Nichtigerklärung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers gerichtet ist, befasst ist, ausschließlich zum Zweck der Berechnung der Pauschalgebühren - die der Antragsteller insofern zwingend zu entrichten hat, als sonst sein Antrag allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden könnte - vor der Entscheidung über diesen Antrag die Art des betreffenden Vergabeverfahrens, den (geschätzten) Wert des fraglichen Auftrags sowie die Summe der gesondert anfechtbaren Entscheidungen bzw. allenfalls auch die Lose aus dem betreffenden Vergabeverfahren ermitteln muss.*)
6. Art. 47 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Rechtsuchende, der einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder einen Nachprüfungsantrag stellt, Pauschalgebühren in nicht absehbarer Höhe zu entrichten hat, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung bzw. gegebenenfalls ohne spätere Vergabebekanntmachung entschieden hat, so dass der Rechtsuchende möglicherweise nicht wissen kann, wie hoch der geschätzte Wert des betreffenden Auftrags ist und wie viele gesondert anfechtbare Entscheidungen, nach denen sich die Höhe der Pauschalgebühren richtet, der öffentliche Auftraggeber erlassen hat.*)
VolltextIBRRS 2022, 2886
EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - Rs. C-274/21
1. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer gemäß Art. 33 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG dem Abschluss des in Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung genannten Vertrags entspricht.*)
2. Art. 33 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber für die Vergabe eines neuen Auftrags nicht mehr auf eine Rahmenvereinbarung, bei der die darin festgelegte Höchstmenge und/oder der darin festgelegte Höchstwert der betreffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen bereits erreicht worden ist bzw. sind, stützen kann, es sei denn, die Vergabe dieses Auftrags führt zu keiner wesentlichen Änderung der Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 72 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie.*)
3. Der Äquivalenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und Nachprüfungsanträge in Vergabeverfahren Verfahrensvorschriften vorsieht, die sich von denjenigen unterscheiden, die u. a. für Zivilverfahren gelten.*)
4. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der es dem Rechtsuchenden obliegt, in seinem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder in seinem Nachprüfungsantrag das betreffende Vergabeverfahren und die von ihm beanstandete gesondert anfechtbare Entscheidung zu benennen, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung entschieden hat und die Vergabebekanntmachung noch nicht veröffentlicht worden ist.*)
5. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen,
- dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Gericht, das mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit dem Beschaffungen des öffentlichen Auftraggebers verhindert werden sollen, befasst ist, ausschließlich zum Zweck der Berechnung der Pauschalgebühren - die der Antragsteller insofern zwingend zu entrichten hat, als sonst sein Antrag allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden könnte - vor der Entscheidung über diesen Antrag die Art des betreffenden Vergabeverfahrens, den (geschätzten) Wert des fraglichen Auftrags sowie die Summe der gesondert anfechtbaren Entscheidungen bzw. allenfalls auch die Lose aus dem betreffenden Vergabeverfahren ermitteln muss, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung entschieden hat und die Vergabebekanntmachung zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Aufhebung einer Entscheidung im Zusammenhang mit diesem Verfahren noch nicht veröffentlicht worden ist;
- dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Gericht, das mit einem Nachprüfungsantrag, der auf die Nichtigerklärung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers gerichtet ist, befasst ist, ausschließlich zum Zweck der Berechnung der Pauschalgebühren - die der Antragsteller insofern zwingend zu entrichten hat, als sonst sein Antrag allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden könnte - vor der Entscheidung über diesen Antrag die Art des betreffenden Vergabeverfahrens, den (geschätzten) Wert des fraglichen Auftrags sowie die Summe der gesondert anfechtbaren Entscheidungen bzw. allenfalls auch die Lose aus dem betreffenden Vergabeverfahren ermitteln muss.*)
6. Art. 47 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Rechtsuchende, der einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder einen Nachprüfungsantrag stellt, Pauschalgebühren in nicht absehbarer Höhe zu entrichten hat, wenn sich der öffentliche Auftraggeber für ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung bzw. gegebenenfalls ohne spätere Vergabebekanntmachung entschieden hat, so dass der Rechtsuchende möglicherweise nicht wissen kann, wie hoch der geschätzte Wert des betreffenden Auftrags ist und wie viele gesondert anfechtbare Entscheidungen, nach denen sich die Höhe der Pauschalgebühren richtet, der öffentliche Auftraggeber erlassen hat.*)
VolltextIBRRS 2022, 2889
OLG Schleswig, Beschluss vom 19.09.2022 - 54 Verg 3/22
1. Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 GWB ist nicht isoliert, sondern im Rahmen einer Gesamtschau im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB, die eine Verletzung in Rechten des Antragstellers durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB erfordert, zu betrachten. Eine Rügeobliegenheit besteht daher nur bei Verstößen gegen Vergabevorschriften, aus denen eine Verschlechterung der Zuschlagschance des Antragstellers resultieren kann.*)
2. Innerhalb des sich aus der Beschwerdeschrift ergebenden Rahmens hat der Vergabesenat nach § 178 GWB dieselben Entscheidungsmöglichkeiten wie die Vergabekammer, auch wenn eine ausdrückliche Verweisung in § 178 GWB auf § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB fehlt. Der Senat ergreift – im Rahmen der erhobenen Rüge(n), aber ohne Bindung an die Anträge – die Maßnahmen, die er für geboten hält, um eine Rechtsverletzung des Antragstellers zu beseitigen und ein rechtskonformes Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers sicherzustellen.*)
VolltextIBRRS 2022, 2871
EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - Rs. C-436/20
1. Die Art. 76 und 77 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die privaten Einrichtungen ohne Erwerbszweck die Möglichkeit vorbehält, im Rahmen eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens Vereinbarungen zu schließen, gemäß denen sie gegen Erstattung ihrer Kosten soziale personenbezogene Unterstützungsleistungen erbringen, und zwar unabhängig vom geschätzten Wert dieser Dienstleistungen und selbst wenn sie nicht die Anforderungen in Art. 77 dieser Richtlinie erfüllen, nicht entgegenstehen, sofern zum einen der rechtliche und vertragliche Rahmen, in dem diese Einrichtungen tätig sind, tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt, auf denen diese Regelung beruht, und zum anderen der Transparenzgrundsatz gewahrt ist, wie er insbesondere in Art. 75 der Richtlinie konkretisiert ist.*)
2. Art. 76 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Ansässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers an dem Ort, an dem die Dienstleistungen zu erbringen sind, im Rahmen der Vergabe eines öffentlichen Auftrags über soziale Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV dieser Richtlinie ein Kriterium für die Auswahl der Wirtschaftsteilnehmer vor der Prüfung ihrer Angebote darstellt.*)
IBRRS 2022, 2766
VG Aachen, Beschluss vom 08.08.2022 - 8 K 4232/18
1. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat jede natürliche Person gegenüber öffentlichen Stellen einen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.
2. Dabei sind jedoch vergaberechtliche Pflichten zu beachten, die die Offenlegung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen verbieten.
3. Technische Details oder Spezifikationen sowie Preise und Preiskalkulationen sind nach diesen Maßstäben schutzwürdig.
4. Ein der Offenlegung entgegenstehender wirtschaftlicher Schaden ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Preisgestaltung als Kernbereich von Geschäftsgeheimnissen betroffen ist.
IBRRS 2022, 2847
VK Nordbayern, Beschluss vom 31.05.2022 - RMF-SG21-3194-7-13
1. Eine Bewertungsmethodik kann vergaberechtlich nur beanstandet werden, wenn diese sich als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist.
2. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Bewertungsmethodik nicht geeignet ist, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, insbesondere nicht geeignet ist, eine Angebotswertung gemäß den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien und deren vorgesehener Gewichtung vorzunehmen. Das wird angenommen, wenn die Bewertungsmethodik sich wettbewerbsverzerrend auswirkt.
3. Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Das bedeutet, dass die Kriterien klar und eindeutig zu formulieren sind.
4. Der Begriff des Beschaffungsdienstleisters ist weit zu verstehen und erfasst auch den Rechtsanwalt der Vergabestelle, der bei der Durchführung des Vergabeverfahrens den Auftraggeber berät. Mitwirken ist das aktive Tätigwerden für den Auftraggeber.
5. Ein Interessenkonflikt besteht für Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens haben können und die ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte.
6. Ein Interessenkonflikt wird vermutet, wenn die Verfahrensbevollmächtigten der Vergabestelle einen Bieter beraten bzw. sonst unterstützen. Dabei genügt eine aktuelle Beratungstätigkeit für den Bieter. Auf eine konkrete mandatsbezogene Tätigkeit im konkreten Vergabeverfahren kommt es nicht an.