Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
10832 Entscheidungen insgesamt
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IBRRS 2022, 2831EuGH, Urteil vom 15.09.2022 - Rs. C-416/21
1. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 d der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2364 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund Situationen, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarung geschlossen haben, erfasst, aber nicht auf die in diesem Artikel angeführten Vereinbarungen beschränkt ist.*)
2. Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2365 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in dieses Verfahren resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen. Aus diesem Art. 57 Abs. 4 ergibt sich jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte.*)
IBRRS 2022, 2786
VK Nordbayern, Beschluss vom 31.05.2022 - RMF-SG21-3194-7-15
Geht es bei einer unwirksamen De-facto-Interimsbeauftragung auch darum, dass der öffentliche Auftraggeber die im Interimsvertrag vereinbarte Option noch in Anspruch nehmen muss, kann die Vergabekammer die Fortsetzung der unwirksamen Interimsvereinbarung nach § 169 Abs. 3 GWB unterbinden (Abgrenzung zu VK Südbayern, Beschluss vom 03.05.2021 - 3194.Z3-3_01-21-26, IBRRS 2021, 2286; VK Bremen, Beschluss vom 10.02.2021 - 16-VK 1/21, IBRRS 2021, 2895; VK Rheinland, Beschluss vom 28.01.2020 - VK 3/20, IBRRS 2020, 0735).
VolltextIBRRS 2022, 2775
VK Bund, Beschluss vom 22.08.2022 - VK 1-73/22
1. Die Bieter sind in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei. Das schließt die Befugnis ein festzulegen, zu welchen Einzelpreisen die Positionen des Leistungsverzeichnisses ausgeführt werden sollen.
2. Kalkulationsvorgaben durch den öffentlichen Auftraggeber sind im Grundsatz vergaberechtlich zugelassen. Sie beschränken zwar die Kalkulationsfreiheit der Bieter, beruhen jedoch auf der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers hinsichtlich der Regularien des Vergabeverfahrens.
3. Müssen alle Bieter Rabatte auf die Einzelpositionen in gleichem Maße gewähren, ohne dass die gegebenenfalls unterschiedlichen Spielräume der Bieter bei den jeweiligen Einzelpositionen berücksichtigt werden, werden alle Bieter gleich behandelt. Das bedarf einer sachlichen Rechtfertigung.
VolltextIBRRS 2022, 2392
VG Berlin, Urteil vom 08.12.2021 - 2 K 48/20
1. Vergaberechtliche Vertraulichkeitspflichten stehen einem IFG-Antrag nicht generell entgegen.
2. Die Wettbewerbsrelevanz von Informationen kann nach Abschluss eines Vergabeverfahrens mit Zeitablauf entfallen.
VolltextIBRRS 2022, 2762
EuGH, Urteil vom 07.07.2022 - Rs. C-213/21
Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach Notfallkrankentransportdienste vorrangig durch Vereinbarung nur an Freiwilligenorganisationen, nicht aber an Sozialgenossenschaften vergeben werden dürfen, die an ihre Mitglieder Rückvergütungen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit ausschütten können.*)
VolltextIBRRS 2022, 2764
VK Lüneburg, Beschluss vom 20.09.2021 - VgK-33/2021
1. Ein öffentlicher Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb (also ohne Bekanntmachung) vergeben, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist.
2. Voraussetzung für eine Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb ist, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsparameter ist.
3. Die Verkürzung des Wettbewerbs auf ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt eine systematische Markterkundung als Faktenbasis der Wettbewerbsbeschränkung voraus.
VolltextIBRRS 2022, 2576
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.08.2022 - Verg 50/21
1. Auftragstätigkeiten müssen der Ausübung der Tätigkeit des Sektorenauftraggebers tatsächlich dienen, indem sie es ermöglichen, diese Tätigkeit im Hinblick auf ihre üblichen Ausübungsbedingungen angemessen zu bewerkstelligen.
2. Für den erforderlichen Zusammenhang zwischen einem Auftrag und der Sektorentätigkeit genügt es nicht, dass die Dienstleistungen einen positiven Beitrag zu den Tätigkeiten des Auftraggebers leisten und deren Rentabilität erhöhen.
3. Ein Unmittelbarkeitserfordernis besteht nicht. Auch mittelbar der Sektorentätigkeit dienende Dienstleistungen sind dem Sektorenvergaberecht unterfallende Sektorenhilfstätigkeiten, wenn sie es ermöglichen, diese Tätigkeit im Hinblick auf ihre üblichen Ausübungsbedingungen angemessen zu bewerkstelligen.
4. Ohne postalische Kommunikation mit Lieferanten und Kunden ist der Betrieb eines Trinkwasserversorgungsnetzes nicht angemessen zu bewerkstelligen.
IBRRS 2022, 2736
VK Bund, Beschluss vom 26.07.2022 - VK 1-65/22
1. Die Mitwirkung eines Unternehmens an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens allein führt nicht per se dazu, dass dieses Unternehmen nicht am späteren Vergabeverfahren teilnehmen darf. Ein Grund, dieses Unternehmen auszuschließen, besteht erst dann, wenn aus dieser vorherigen Einbeziehung eine Wettbewerbsverzerrung resultiert.
2. Es gibt keine unwiderlegbare Vermutung dafür, dass miteinander verbundene Unternehmen nicht eigenständig und wettbewerblich voneinander unabhängig agieren können.
3. Es steht einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegen, wenn der öffentliche Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne vorher einen "Wertungsleitfaden" oder sonst in den Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Vorgaben dazu zu machen, wovon im Rahmen einer Konzeptbewertung die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll.
VolltextIBRRS 2022, 2705
OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.07.2022 - 11 Verg 4/22
Die Durchführung einer Preisprüfung erfolgt vergabefehlerfrei, wenn das Angebot des Bieters 16% von dem nächsthöheren Angebot abweicht, weit unterhalb der Kostenschätzung des Auftraggebers liegt und der Bieter selbst den Preis seines ersten Angebots mit seinem finalen Angebot ganz erheblich (60%) unterschreitet.*)
IBRRS 2022, 2708
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.09.2022 - 15 Verg 8/22
1. Der öffentliche Auftraggeber darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Bieter seine vertraglichen Zusagen erfüllen wird. Erst wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies zweifelhaft ist, ist er gehalten, durch Einholung ergänzender Informationen die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens bzw. die hinreichende Leistungsfähigkeit des Bieters zu prüfen.
2. Allein die Tatsache, dass ein Bieter die luxemburgische Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Unternehmens als Hosting-Dienstleisterin einbinden will, müssen den Auftraggeber nicht an der Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens zweifeln lassen. Es ist nicht davon auszugehen, dass es aufgrund der Konzernbindung zu rechts- und vertragswidrigen Weisungen an das Tochterunternehmen kommen wird bzw. das europäische Tochterunternehmen durch seine Geschäftsführer gesetzeswidrigen Anweisungen der US-amerikanischen Muttergesellschaft Folge leisten wird.
3. Ein Bieter kann sich nur dann auf eine fehlende oder unzureichende Dokumentation stützen, wenn sich die diesbezüglichen Mängel auf seine Rechtsstellung im Vergabeverfahren nachteilig ausgewirkt haben, die Dokumentation ist kein Selbstzweck.
4. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die festzustellenden Dokumentationsmängel den Wertungsvorgang an sich betreffen und ohne hinreichend detaillierte und nachvollziehbare Dokumentation nicht überprüft und nicht festgestellt werden kann, ob sich die Vergabestelle im Rahmen ihres Wertungsspielraums bewegt und eine sachlich richtige Entscheidung getroffen hat oder sich von unsachlichen, vergaberechtsfernen Gesichtspunkten hat leiten lassen.
VolltextIBRRS 2022, 2696
VK Südbayern, Beschluss vom 21.03.2022 - 3194.Z3-3_01-21-51
1. Bei der Entscheidung über eine gemeinsame Vergabe mehrerer Fachplanungsleistungen muss sich der Auftraggeber mit der Koordinierungspflicht des Objektplaners in Bezug auf alle Fachplanerleistungen als Grundleistung in den Leistungsphasen 1 bis 3 und 5 nach Anlage 10 zu § 34 HOAI 2021 auseinandersetzen. Er kann nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellen, dass der Objektplaner die Koordinierungsleistung nicht oder nur schlecht erbringen wird.*)
2. Das Interesse des Auftraggebers fachplanungsübergreifende Lösungsvorschläge bereits im Rahmen der Vergabe als Zuschlagskriterium berücksichtigen zu können, kann dagegen als für eine Gesamtvergabe sprechender Aspekt berücksichtigt werden.*)
3. Spätestens seit dem Wegfall der verbindlichen Mindestsätze der HOAI muss eine angemessene Vergütung i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV nicht mehr zwingend auf der Basis der HOAI ermittelt werden.*)
4. Es ist nicht zu beanstanden, die Vergütung nach dem konkreten, von der Vergabestelle realistisch prognostizierten Zeitaufwand für die zu erbringenden Planungsleistungen unter Ansatz angemessener Stundensätze zu bestimmen.*)
5. In diesem Fall erfordert die Festsetzung einer angemessenen Vergütung regelmäßig die Deckung des für die Erledigung der geforderten Aufgabe notwendigen, geschätzten Zeitaufwands unter Ansatz angemessener Stundensätze (VK Sachsen, VPR 2019, 100).*)
6. Die Erwägungen des BGH im Urteil vom 13.01.2017 (VPR 2017, 136) zu einer (lediglich) teilweisen Erstattung des Aufwands in einem Vergabeverfahren können nicht auf die vergaberechtlich geforderte Festsetzung einer angemessenen Vergütung nach § 77 Abs. 2 VgV übertragen werden.*)
IBRRS 2022, 2690
BayObLG, Beschluss vom 31.08.2022 - Verg 18/21
1. An eindeutige Angaben in seinem Angebot ist der Bieter gebunden.
2. Weist der Auftraggeber den Bieter im Rahmen des Aufklärungsgesprächs darauf hin, dass die vom Bieter vorgesehene Ausführungsvariante nicht möglich ist, und passt der Bieter daraufhin sein Angebot an, liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor. Ein Angebot ist bei einer Aufklärung in seinem Inhalt unverändert zu belassen.
3. Auf die Unterscheidung zwischen einer zulässigen Klarstellung des Angebotsinhalts und einer unzulässigen nachträglichen Änderung des Angebots kommt es auch dann an, wenn eine falsche Angabe versehentlich erfolgte oder anfechtbar ist.
4. Als Nachunternehmer wird ein Unternehmen bezeichnet, das Teile der ausgeschriebenen und vom Bieter zu erbringenden Leistung ausführt, ohne selbst in einem unmittelbaren vertraglichen Verhältnis zum Auftraggeber zu stehen. Der Nachunternehmer steht nur zum Bieter in Vertragsbeziehungen.
5. Unternehmer, die selbst keine Teile der in Auftrag gegebenen Bauleistung erbringen, sondern in Hilfsfunktionen tätig sind oder Hilfsleistungen übernehmen, wie z. B. Lieferanten von Baustoffen oder Verleiher von Baumaschinen, sind schon begrifflich keine Nachunternehmer.
6. Prüf- und Überwachungsstellen können Nachunternehmer sein. Leistungen anerkannter Prüfstellen werden allerdings nicht als Nachunternehmerleistungen qualifiziert, wenn die Prüfung per se nicht durch einen Bieter erbracht werden kann. Etwas anderes gilt, wenn auch ein Bieter grundsätzlich die Möglichkeit hat, die Leistung nach entsprechender Qualifikation zu erbringen.
IBRRS 2022, 2682
VK Südbayern, Beschluss vom 06.07.2022 - 3194.Z3-3_01-21-72
1. Nach Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV können sich Wirtschaftsteilnehmer in Bezug auf die Kriterien für die einschlägige berufliche Erfahrung (dies sind nach Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der Regel Referenzen) nur dann auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen stützen, wenn das andere Unternehmen auch die Arbeiten ausführt bzw. die Dienstleistung erbringt, für die die Leistungsfähigkeit nachzuweisen ist. Das bedeutet hinsichtlich der durch eine Referenz nachzuweisenden beruflichen Erfahrung, dass alle Teile der ausgeschriebenen Leistung, für welche eine Referenz zu erbringen war und für die der Bieter nicht auf eine eigene Referenz zurückgreifen kann, von dem Unternehmen auszuführen sind, auf dessen Leistungsfähigkeit – nämlich die durch eine Referenz nachzuweisende berufliche Erfahrung – sich der Bieter stattdessen stützen will.*)
2. Ein allgemeines Berufen darauf, dass Mitarbeitende der eignungsverleihenden Unternehmen, die an den entsprechenden Referenzaufträgen beteiligt waren, dem neu gegründeten Tochterunternehmen über den gesamten Leistungszeitraum irgendwie zur Verfügung stehen, kann aufgrund des deutlichen Wortlauts des Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU und des § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV angesichts der Intention des Richtliniengebers, die Eignungsleihe stärker zu reglementieren, nicht ausreichen.*)
3. Hat ein Unternehmen überhaupt keine eigenen, bei der Eignungsprüfung zu berücksichtigenden Referenzen, muss das die Eignung „verleihende“ Unternehmen die gesamten von der Referenz umfassten Leistungen ausführen.*)
4. Hat der Auftraggeber zulässigerweise nach Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 ein Selbstausführungsgebot bzgl. eines bedeutenden Teils der öffentlichen Personenverkehrsdienste festgelegt, kann ein Unternehmen in diesem Umfang keine Eignungsleihe durch Berufen auf Referenzen anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese nach § 47 Abs. 1 S. 3 VgV die Leistung erbringen müssten.*)
5. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB setzt voraus, dass nur das Unternehmen vom Verfahren ausgeschlossen werden kann, das selbst eine wettbewerbsbeschränkende Absprache getroffen hat. Eine Zurechnung des Verhaltens anderer, auch konzernverbundener Unternehmen sieht weder § 124 GWB noch Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU vor.*)
6. Die bloße Durchführung von kartellbehördlichen Ermittlungsmaßnahmen reicht regelmäßig noch nicht aus, um einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu begründen.*)
VolltextIBRRS 2022, 2661
BayObLG, Beschluss vom 13.06.2022 - Verg 6/22
1. "Schwere Verfehlungen" sind erhebliche Rechtsverstöße, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Bewerbers grundlegend in Frage zu stellen. Sie müssen nachweislich und schuldhaft begangen worden sein und erhebliche Auswirkungen haben.
2. Nicht in jeder nicht ordnungsgemäßen, ungenauen oder mangelhaften Erfüllung eines Vertrags liegt eine schwere Verfehlung. Eine schwere Verfehlung muss bei wertender Betrachtung vom Gewicht her den zwingenden Ausschlussgründen zumindest nahekommen.
3. Der Begriff "Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit" umfasst jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Unternehmens hat, und nicht nur Verstöße gegen berufsethische Regelungen im engen Sinne des Berufsstands, dem dieser Wirtschaftsteilnehmer angehört.
4. Auch die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen kann eine schwere Verfehlung darstellen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf.
IBRRS 2022, 2649
BayObLG, Beschluss vom 05.08.2022 - Verg 7/22
1. Dem Antragsteller sind nach der Rücknahme der sofortigen Beschwerde die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die durch das Rechtsmittel angefallenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegner aufzuerlegen, wenn der Antragsteller ohne Rücknahme wahrscheinlich unterlegen wäre. Zudem hat er sich durch die Rücknahme seines Rechtsmittels in die Rolle des Unterlegenen begeben.
2. Der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer beträgt fünf Prozent der Bruttoauftragssumme. Dabei ist auf die Summe des Angebots abzustellen, das der Antragsteller eingereicht hat, da er mit dem Nachprüfungsantrag seine Chance auf den Auftrag wahren will.
3. Auch Optionen, die sich der Auftraggeber einräumen lässt, sind bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen, da diese einen wirtschaftlichen Wert darstellen, der dem Ausschreibungsgegenstand innewohnt und das Interesse der Bieter an dem Auftrag mitbestimmt.
4. Allerdings ist die Ungewissheit darüber, ob der Auftraggeber das Optionsrecht ausüben wird, mit einem angemessenen Abschlag vom vollen Auftragswert zu berücksichtigen. Dieser Abschlag ist im Regelfall auf 50 % zu veranschlagen.
VolltextIBRRS 2022, 2650
VK Nordbayern, Beschluss vom 29.03.2022 - RMF-SG21-3194-7-2
1. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren sichergestellt werden soll, kann die Antragsbefugnis allerdings nur dem Antragsteller abgesprochen werden, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend.*)
2. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter.*)
3. Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV sind zwingend. Es ist daher unschädlich, wenn die Vergabestelle in ihrem Vergabevermerk das Vorhandensein von Ausschlussgründen hinsichtlich eines Angebots verneint hat.*)
VolltextIBRRS 2022, 2630
BayObLG, Beschluss vom 13.06.2022 - Verg 4/22
1. Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Nicht fristwahrend ist der Eingang bei einem anderen Gericht.
2. Mit einer beim OLG München (fristgerecht) eingehenden sofortigen Beschwerde ist die Beschwerdefrist nicht gewahrt, weil die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen der bayerischen Vergabekammern zum 01.01.2021 dem BayObLG übertragen wurde.
3. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestehen im Vergabenachprüfungsverfahren im Vergleich zu anderen Prozessordnungen keine Besonderheiten.
VolltextIBRRS 2022, 2618
VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 - RMF-SG21-3194-7-16
1. Anders als die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers wirkt seine Aufhebungsentscheidung nicht als absolute, den Primärrechtsschutz ausschließende Zäsur, so dass die Aufhebungsentscheidung einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterzogen werden kann.*)
2. Als Feststellungsinteresse genügt jedes anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Es ist jedenfalls gegeben, wenn die Feststellung zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient und ein solcher Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint.*)
3. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer - anders als im Fall, in dem die Unwirksamkeit eines Zuschlags gerügt wird - streitig über die Frage, ob ein Zuschlag wirksam zustande gekommen ist, zu befinden.*)
4. Bieter müssen die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie vergaberechtlich zulässig und daher von vornherein rechtmäßig ist. Ein öffentlicher Auftraggeber ist grundsätzlich nicht gezwungen, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, auch wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Die vergaberechtlichen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, grundsätzlich nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens.*)
5. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Anerkannt ist, dass die Änderung erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens, d. h. nach Bekanntmachung, eingetreten sein darf. Zudem ist anerkannt, dass die Änderungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar gewesen sein durften. Dies gilt insbesondere für die Änderung des definierten Beschaffungsbedarfs.*)
6. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist die Entscheidung über die Aufhebung in das Ermessen der Vergabestelle gestellt, da die Vorschrift zur Aufhebung berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar dokumentiert sein muss, sind die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen.*)
VolltextIBRRS 2022, 2577
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 - 15 Verg 2/22
1. Grundsätzlich steht es jedem öffentlichen Auftraggeber frei, die auszuschreibende Leistung nach seinen individuellen Vorstellungen zu bestimmen und nur in dieser Gestalt den Wettbewerb zu eröffnen. Er befindet deshalb grundsätzlich allein darüber, welchen Umfang die zu vergebenden Leistungen haben sollen und ob gegebenenfalls mehrere Leistungseinheiten gebildet werden, die gesondert zu vergeben sind.
2. Ist die Festlegung des Beschaffungsbedarfs aufgrund sachlicher und auftragsbezogener Gründe diskriminierungsfrei erfolgt, ist eine sich hieraus ergebende, wettbewerbsverengende Wirkung grundsätzlich hinzunehmen.
3. Beschränkt wird die Freiheit, den Beschaffungsbedarf autonom zu bestimmen dadurch, dass aus Gründen der Stärkung des Mittelstands Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben sind.
4. Eine Gesamtvergabe ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Eine Gesamtvergabe setzt das Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes nicht voraus. Allerdings hat sich der öffentliche Auftraggeber bei einer beabsichtigten Gesamtvergabe in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen.
IBRRS 2022, 2554
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.10.2021 - Verg 4/21
1. Angebote, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, sind von der Wertung auszuschließen.
2. Ein Angebot enthält den geforderten Preis nicht, wenn eine Preisangabe fehlt, das Angebot also unvollständig ist. Eine Preisangabe fehlt aber auch dann, wenn der angegebene Preis offensichtlich unzutreffend ist, insbesondere wenn Preisbestandteile in unzulässiger Weise verlagert werden.
3. Die Bieter sind in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei. Das schließt die Befugnis ein, festzulegen, zu welchen Einzelpreisen die Positionen des Leistungsverzeichnisses ausgeführt werden sollen. Ein Bieter muss nicht jede Position des Leistungsverzeichnisses nach den gleichen Maßstäben kalkulieren.
4. Ein Angebot kann nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden, weil einzelne Positionen darin zu Preisen angeboten werden, die die diesbezüglichen Kosten nicht vollständig abdecken.
5. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert eine solche Preisverlagerung. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält.
IBRRS 2022, 2557
VK Sachsen, Beschluss vom 14.06.2022 - 1/SVK/006-22
1. Mit Vorgaben, welche die Leistungsinhalte des Angebots, dessen Kalkulation und basierend darauf, dessen Wertung betreffen, muss sich der Bieter gezwungenermaßen schon vor Abgabe seines Angebots auseinandersetzen. Deshalb muss ein Bieter, der geltend macht, aufgrund der Angaben im Leistungsverzeichnis an einer wirtschaftlichen Kalkulation seines Angebots gehindert gewesen zu sein, oder geltend macht, die Angaben im Leistungsverzeichnis zu den Mengen und Aufwänden seien als Kalkulationsgrundlage zu unbestimmt gewesen, dies spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe rügen.*)
2. Ein Aufklärungsverlangen kann rechtswidrig sein, wenn der öffentliche Auftraggeber eine Aufklärung über den Preis verlangt, ohne dass die Voraussetzungen der Prüfung vorliegen, also der Abstand des Angebots zu den weiteren Angeboten keinen Anlass zur Annahme bietet, es sei im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig. Besteht kein Grund für die Annahme, der Angebotspreis sei unangemessen niedrig, kann der Ausschluss eines Angebots nicht auf eine unzureichende Mitwirkung des Bieters bei einer etwaig überflüssigen Aufklärung gestützt werden.*)
3. Ein Aufklärungsverlangen zu den Grundlagen der Preisermittlung eines Bieters ist dahingegen zulässig, wenn der Auftraggeber einem für die Vergabeentscheidung erheblichen Informationsbedürfnis folgt, wenn die geforderten Angaben geeignet sind, dieses Informationsbedürfnis zu befriedigen, und wenn dem Auftraggeber die Erlangung dieser Informationen nicht auf einfachere Weise möglich ist.*)
4. Die Preisprüfung hat in vier Schritten zu erfolgen. In einem ersten Schritt identifiziert der öffentliche Auftraggeber zweifelhafte, d. h. niedrige Angebote und prüft, ob der Preis oder die Kosten dieses Angebots ungewöhnlich niedrig zu sein "scheinen". In einem zweiten Schritt hat der Auftraggeber dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, die Gründe darzulegen, aus denen er der Ansicht ist, dass sein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig ist. Der Auftraggeber hat sodann in einem dritten Schritt die Stichhaltigkeit der gegebenen Erläuterungen zu beurteilen und festzustellen, ob das in Rede stehende Angebot ungewöhnlich niedrig ist. In einem vierten Schritt hat er seine Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung dieser Angebote zu treffen.*)
IBRRS 2022, 2558
VK Sachsen, Beschluss vom 22.02.2022 - 1/SVK/038-21
1. Ein Verfahren kann gem. § 157 Abs. 3 Satz1 GWB zur alleinigen Entscheidung auf den Vorsitzenden der Vergabekammer übertragen werden.*)
2. Die Bestimmung, wer Antragsgegner ist, erfolgt gem. § 162 Satz 1 GWB nach materiell-rechtlichen Kriterien. Danach kommt es darauf an, wer zum Zeitpunkt der angegriffenen Handlung, hier Erklärung der Teilaufhebung des Vergabeverfahrens, als öffentlicher Auftraggeber anzusehen war. Als Auftraggeber ist jedenfalls derjenige anzusehen, dem der zur Vergabe anstehende Auftrag zuzurechnen ist.*)
3. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Vergabenachprüfungsverfahrens, mit dem sich der Antragsteller gegen die Aufhebung und Neuausschreibung eines Vergabeverfahrens wendet, braucht nicht vertieft geprüft zu werden, ob dessen Angebot in der "neuen Angebotsrunde" nach Teilaufhebung, Rückversetzung und Neudurchführung auszuschließen ist. Diese Frage hat für die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vergabenachprüfungsverfahrens keine Relevanz, auch deshalb nicht, weil die Vergabekammer gem. § 163 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle verpflichtet ist.*)
4. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er selbst als unklar, in sich widersprüchlich und damit fehlerhaft erkannt hat. Dies ist Folge der Vertragsfreiheit, die auch für im Wege öffentlicher Ausschreibungen vergebene Aufträge gilt.*)
VolltextIBRRS 2022, 2556
VK Westfalen, Beschluss vom 19.08.2022 - VK 2-29/22
1. Der öffentliche Auftraggeber kann zur Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses "neben dem Preis oder den Kosten auch (...) soziale Aspekte" als Zuschlagskriterien aufstellen/berücksichtigen.
2. Wird bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Angebote der von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, Blindenwerkstätten und Inklusionsbetrieben angebotene Preis mit einem Abschlag von 15% berücksichtigt, liegt eine Ungleichbehandlung bei der Preiswertung vor, für die es im Bereich über den EU-Schwellenwerten keine Rechtsgrundlage gibt.
VolltextIBRRS 2022, 2523
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.05.2021 - 15 Verg 4/21
1. Im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb wird die Eignung bereits im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs geprüft und es dürfen nur geeignete Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Ein Rückschritt auf diese bereits abgeschlossene Stufe kann deshalb nur dann erfolgen, wenn entweder dem Auftraggeber erst nachträglich Umstände bekannt werden, die an der Eignung des Bieters Zweifel erwecken, aber bereits bei der ersten Überprüfung gegeben waren, oder wenn der Bieter erst nach der ersten Überprüfung Tatsachen schafft, die an seiner Eignung zweifeln lassen.
2. Im Verhandlungsverfahren gilt, dass indikative Angebote, auf die ein Zuschlag gerade nicht erfolgen soll, nicht bei jeder Abweichung von den Vergabeunterlagen auszuschließen sind, es sei denn, der öffentliche Auftraggeber hat bereits zuvor zwingende Anforderungen für die indikativen Angebote aufgestellt, die als Mindestanforderungen zu beachten sind.
3. Die Bildung einer Bietergemeinschaft ist wettbewerbsunschädlich, wenn etwa die beteiligten Unternehmen jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung aufgrund ihrer betrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse nicht leistungsfähig sind bzw. aufgrund derzeitiger Kapazitäten die Leistung nicht erbringen können und dies vertretbar dargelegt wird.
4. ...
IBRRS 2022, 2521
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.07.2022 - 1 VK 23/22
1. Angebote ausgeschlossen, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, werden vom Vergabeverfahren ausgeschlossen.
2. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn das Unternehmen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweicht und im Ergebnis eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet.
3. Der Begriff der Änderung setzt nicht voraus, dass das Unternehmen formell den Wortlaut der Vergabeunterlagen abändert, etwa durch Ergänzungen oder Streichungen.
4. Bietet ein Unternehmen - anders als in der Ausschreibung gefordert - keine mit dem anwendbaren Datenschutzrecht zu vereinbarende Leistungserbringung an, liegt eine Änderung der Vergabeunterlagen vor.
5. ...
VolltextIBRRS 2022, 2495
KG, Beschluss vom 27.06.2022 - Verg 4/22
Das vergaberechtlichen Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GWB) und der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) erfordern, dass der öffentliche Auftraggeber für die Angebotswertung grundsätzlich vor Öffnung der Angebote eine in den Vergabeakten hinreichend dokumentierte Bewertungsmethode festlegt (vgl. EuGH, IBR 2016, 530 - Dimarso). Erscheint bei einer vollständigen Neubewertung der Angebote eine transparente und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Bewertung der Angebote noch möglich, ist ausnahmsweise eine Festlegung der Bewertungsmethode auch nach Öffnung der Angebote noch vergaberechtskonform und eine Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zwingend geboten.*)
IBRRS 2022, 2494
OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.04.2022 - 11 Verg 1/22
1. Wenn sich ein Reinigungsunternehmen gegen seinen Ausschluss vom Bieterverfahren wegen unzureichender Aufklärung des Unterpreisangebots (§ 60 VgV) zur Wehr setzt, so fehlt die Antragsbefugnis i.S.v. § 160 Abs. 2 GWB, wenn das Unternehmen bei fiktiver Wertung den - abgeschlagenen - letzten Rang der Bieter eingenommen hätte.*)
2. Wenn das Angebot des Reinigungsunternehmens mehr als 25 % unterhalb der eigenen Kostenschätzung und ca. 19 % unterhalb des nächsthöheren Angebots liegt, so ist die Vergabestelle berechtigt, in die Aufklärung der Preise einzutreten.*)
3. Sofern sich Reinigungsunternehmen in Bezug auf die angebotene Flächenleistung pro Stunde auf einschlägige Empfehlungen der Gütegemeinschaft Gebäudereinigung (RAL) und auf die sog. REFA-Werte beruft, so bestehen berechtigte Bedenken an der Auskömmlichkeit, wenn das Angebot die dort festgelegten Werte teilweise deutlich überschreitet und dies nicht nachvollziehbar erklärt wird.*)
VolltextIBRRS 2022, 2393
VK Bund, Beschluss vom 03.05.2022 - VK 1-27/22
1. Es gibt für öffentliche Auftraggeber keinen Kontrahierungszwang, d. h. ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht gezwungen, ein einmal eingeleitetes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag zu beenden.
2. Ein Vergabeverfahren kann nicht nur dann wirksam aufgehoben werden, wenn ein in der einschlägigen Vergabeverordnung ausdrücklich normierter Ausschlussgrund vorliegt, sondern immer schon dann, wenn die Aufhebung sachlich gerechtfertigt ist.
3. Eine erhebliche Veränderung des Beschaffungsbedarfs stellt einen sachlichen Aufhebungsgrund dar. Ein öffentlicher Auftraggeber kann nicht dazu gezwungen werden, "an seinem tatsächlichen Bedarf vorbei" an einem eingeleiteten Vergabeverfahren festzuhalten.
IBRRS 2022, 2448
BayObLG, Beschluss vom 05.08.2022 - Verg 9/22
1. Wäre der Antragsteller unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands aller Voraussicht nach unterlegen, entspricht es der Billigkeit, ihm nach der Rücknahme der sofortigen Beschwerde die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zudem hat er sich durch die Rücknahme seines Rechtsmittels in die Rolle der Unterlegenen begeben.
2. Anders als bei der Schwellenwertberechnung kommt es für die Streitwertberechnung auf den konkret im Streit stehenden Auftrag an. Dabei ist regelmäßig auf die Summe des Angebots abzustellen, das der Antragsteller eingereicht hat.
3. Hat der Antragsteller kein Angebot eingereicht, ist auf den objektiven Wert der zu vergebenen Leistungen abzustellen. Bei diesbezüglichen Schätzungen können sowohl die Kostenschätzung des Auftraggebers als auch die von anderen Bietern erklärten Angebotspreise gewichtige Anhaltspunkte vermitteln.
VolltextIBRRS 2022, 2460
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.07.2022 - 1 S 1121/22
1. Der bei gemeindlichen Bauplatzvergaben grundsätzlich bestehende, in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde sog. Vergabeverfahrensanspruch vermittelt Bewerbern einen Anspruch auf eine ermessens-, insbesondere gleichheitsrechtsfehlerfreie Vergabeentscheidung.*)
2. Jeder Mitbewerber muss aufgrund seines Anspruchs auf Gleichbehandlung eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für die spezifische Vergabe wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Das setzt voraus, dass der die Vergabeentscheidung treffende Hoheitsträger etwaige ermessenslenkende Richtlinien im Hinblick auf die Vergabekriterien so klar und eindeutig formuliert, dass jeder verständige Bewerber sie gleichermaßen verstehen, seine Chancen abschätzen und insbesondere erkennen kann, welche Unterlagen er einreichen und welche Angaben er machen muss, um im Vergabeverfahren zugelassen und inhaltlich berücksichtigt zu werden (sog. Transparenzgebot).*)
VolltextIBRRS 2022, 2395
VK Sachsen, Beschluss vom 15.03.2022 - 1/SVK/001-22
1. Angebote, in denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, sind von der Wertung auszuschließen.
2. Der Begriff der Änderung der Vergabeunterlagen ist weit auszulegen. Eine Änderung liegt immer dann vor, wenn das Angebot eines Bieters eine Vorgabe der Vergabeunterlagen nicht einhält bzw. wenn der Bieter den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen einschränkt oder erweitert.
3. Grundlegende Voraussetzung, um eine Änderung im Sinne einer Abweichung zwischen Vertragsunterlagen und Angebot anzunehmen, ist, dass die Vergabeunterlagen klar und eindeutig sind.
4. An die Qualität der Vergabeunterlagen sind hohe Anforderungen zu stellen. Sie sollen klar, genau und eindeutig formuliert sein, um den Bietern zu ermöglichen, sie zu verstehen und in gleicher Weise auszulegen.
5. Das Risiko der Unklarheit der Vergabeunterlagen trägt der Auftraggeber. Eine Änderung an den Vergabeunterlagen liegt daher nur dann vor, wenn die Angaben in den Vergabeunterlagen, von denen das Angebot eines Bieters vermeintlich abweicht, eindeutig sind.
6. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben genügen nicht. Zweifel an der Auslegung und fehlende eindeutige Vorgaben gehen grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers.
7. Einem Bieter ist nicht zumutbar, dass er bereits im Stadium der Angebotsabgabe eine den ausgeschriebenen Auftrag abdeckende logistische Reserve vorweisen kann. Es genügt, wenn er die erforderlichen technischen Mittel erst dann beschafft und das erforderliche Personal für die Ausführung der Aufträge erst dann einstellt, wenn er den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hat.
8. Ein öffentlicher Auftraggeber darf den Angaben und Leistungsversprechen, die die Bieter in ihren Angeboten machen, grundsätzlich vertrauen und ist nicht verpflichtet, die von den Bietern gemachten Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.
9. Bestehen allerdings Anhaltspunkte dafür, dass ein Bieter die auftraggeberseitig gesetzten Vorgaben möglicherweise nicht einhalten kann, ist der Auftraggeber gehalten, eine Aufklärung herbeizuführen.
IBRRS 2022, 2443
BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 - Verg 7/22
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Verhandlungsverfahren so gestalten, dass Abweichungen der indikativen Angebote von einzelnen Vergabeunterlagen, soweit es sich nicht um Mindestanforderungen handelt, erlaubt sind und Abweichungen vom gewünschten Angebotsinhalt unter Umständen in nachfolgenden Angebotsrunden beseitigt werden können.
2. Das gilt nicht für die finalen Angebote, über die keine weiteren Verhandlungen mehr stattfinden.
3. Erklärt ein Bieter in seinem finalen Angebot, die von ihm angebotene Leistung erfülle die geforderten Kriterien, darf der Auftraggeber sich auf dieses Leistungsversprechen grundsätzlich auch ohne Überprüfung verlassen.
IBRRS 2022, 2394
VK Sachsen, Beschluss vom 25.06.2021 - 1/SVK/009-21
1. Bieter, die sich auf ein Verhandlungsverfahren nicht einlassen wollen, müssen eine entsprechende Rüge gegenüber dem Auftraggeber im Vorfeld der Verfahrensbeteiligung aussprechen. Denn einem durchschnittlichen Bieter müssen mit Benennung der Verfahrensart die möglichen negativen Folgen des Verhandlungsverfahrens also beispielsweise im Rahmen von Verhandlungen von einem Mitbewerber unterboten zu werden, bewusst sein.*)
2. Bei der teilweisen Untersagung der Möglichkeit der Einbindung von Nachunternehmern in die zu kalkulierende Leistungserbringung handelt es sich um einen Umstand, der sich einem Bieter bei der Kalkulation aufdrängen und somit im Vorfeld der Angebotsabgabe gerügt werden muss. Die Unzulässigkeit der Vorgabe eines anteiligen Selbstausführungsgebots und ein damit verbundenes Verbot der prozentualen Einbindung von Unterauftragnehmern ist angesichts der Regelungen in § 6d EU VOB/A 2019 erkennbar. Darüber hinaus ist auch die dazu ergangene Rechtsprechung eindeutig.*)
3. Ist ein Antragsteller mit bestimmten Rechtsverstößen präkludiert, liegt es grundsätzlich nicht im Ermessen der Vergabekammer, solche Rechtsverstöße dennoch zu prüfen. Sie dürfen dann weder unmittelbar noch mittelbar wieder von Amts wegen aufgegriffen werden, jedenfalls so lange eine Wertung der Angebote noch möglich ist.*)
IBRRS 2022, 2396
OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.06.2022 - 11 Verg 12/21
1. Die Beschwerde ist nur dann wegen eines Begründungsmangels unzulässig, wenn das Beschwerdegericht ihr nicht entnehmen kann, aus welchen Gründen tatsächlicher oder rechtlicher Art die angefochtene Entscheidung nach Auffassung des Beschwerdeführers falsch sein soll. Fehlende Beweisantritte führen daher nur insoweit zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, als ausschließlich die Nichtberücksichtigung von Beweismitteln gerügt, diese aber gleichwohl nicht hinreichend bezeichnet werden. Schlüssigkeit, hinreichende Substantiierung, Vertretbarkeit oder rechtliche Haltbarkeit der Beschwerdebegründung werden hinsichtlich der formalen Mindestanforderungen nicht verlangt.*)
2. Der von der vollständig besetzten Vergabekammer zu treffende Beiladungsbeschluss kann in einer konkludenten Billigung der vom Vorsitzenden allein veranlassten Hinzuziehung als Beigeladenem in einem späteren Kammerbeschluss (hier: der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag) liegen.*)
3. ...
IBRRS 2022, 2375
BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 - Verg 13/21
1. Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will, sowie über die technischen und ästhetischen Anforderungen. Die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers und damit auch die Frage, welche Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen, unterliegt allerdings allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen.
2. Die Bestimmung des Auftragsgegenstands muss sachlich gerechtfertigt sein und es bedarf nachvollziehbarer, objektiver und auftragsbezogener Gründe. Die Festlegung hat willkür- und diskriminierungsfrei zu erfolgen. Ob die Vorgaben erforderlich oder zweckmäßig sind, ist ohne Belang.
3. Bei der Beschaffung einer digitalen Lösung zur Kontaktdatenerfassung verstößt die Forderung nach einer bestimmten Schnittstelle nicht gegen Vergaberecht, wenn ein System beschafft werden soll, das Händler, Gastronomie, Behörden, Kulturtreibende und alle weiteren Einrichtungen mit Publikumsverkehr bei der Erfassung von Kontaktdaten und der Weiterleitung dieser Daten an die Gesundheitsämter unterstützt, um die ressourcen- und zeitaufwändige Datenerhebung in Form von Papierlisten durch ein einfach zu nutzendes digitales Verfahren abzulösen.
4. Die Antragsbefugnis muss während des gesamten Vergabenachprüfungsverfahrens fortbestehen. Sie entfällt, wenn der Antragsteller das Interesse am Auftrag verliert.
5. Im Fall einer Insolvenz des Antragstellers ist die Erklärung zu fordern, dass der Insolvenzschuldner sein operatives Geschäft trotz Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung fortführen wird und sich daher an der Ausschreibung nach wie vor beteiligen will.
VolltextIBRRS 2022, 2332
VK Bund, Beschluss vom 03.06.2022 - VK 1-45/22
1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung - anders als im offenen Verfahren - grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet.
2. Voraussetzung für einen solchen Vertrauenstatbestand ist jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Ein Bewerber oder Bieter, der selbst nicht über die erforderliche Eignung verfügt, kann sich zwar im Rahmen der sog. Eignungsleihe auf die Eignung eines anderen Unternehmens - ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen - berufen.
4. Es besteht für Bewerber oder Bieter eine Nachweispflicht dafür, dass ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für einen bestimmten Auftrag auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen. Zu den "anderen" Unternehmen im Sinne der Eignungsleihe zählen auch Unternehmen innerhalb eines Konzernverbunds, auf deren Eignung sich der Bewerber oder Bieter stützen will.
5. Die bloße Konzernverbundenheit selbst genügt noch nicht für den Nachweis, dass der Bewerber tatsächlich auf die Kapazitäten oder Fähigkeiten eines verbundenen Unternehmens zurückgreifen kann. Auch in diesen Fällen muss vom Bewerber nachgewiesen werden, dass ihm die Kapazitäten des Unternehmens zur Verfügung stehen.
VolltextIBRRS 2022, 3830
BayObLG, Beschluss vom 25.07.2022 - Verg 6/22
1. Nimmt der Antragsteller seinen Vergabenachprüfungsantrag zurück, entspricht es der Billigkeit, ihm die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen, da er sich durch die Rücknahme seines Nachprüfungsantrags in die Rolle des Unterlegenen begeben hat.
2. Sieht die Ausschreibung eine feste Grundlaufzeit von einem Jahr und eine Verlängerungsoptionen für drei weitere Jahre vor, berechnet sich der Streitwert für das Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 50 Abs. 2 GKG (5% des Bruttoauftragswerts) für das erste Jahr nach der vollen Angebotssumme und für die Folgejahre nach dem hälftigen Wert der Angebotssumme.
VolltextIBRRS 2022, 2327
VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022 - VK 1-47/22
Ein Antrag auf Feststellung, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, ist nicht statthaft, wenn das Nachprüfungsverfahren zu einem Zeitpunkt eingeleitet wurde, als der Zuschlag bereits erteilt worden war.
VolltextIBRRS 2022, 2326
VK Bund, Beschluss vom 02.05.2022 - VK 1-33/22
1. Eine Verspätung des Angebotseingangs geht regelmäßig zu Lasten des Bieters. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Bieter die Verspätung nicht zu vertreten hat.
2. Es obliegt dem Bieter dafür zu sorgen, dass sein Angebot innerhalb der gesetzten Frist beim Auftraggeber eingeht. Er trägt das Risiko des verspäteten Zugangs.
3. Eine mit dem Angebot einzureichende Unterlage, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betrifft, kann nicht nachgefordert werden.
IBRRS 2022, 2325
VK Hessen, Beschluss vom 22.07.2022 - VK VOB-96 e 01.02/33-2022/1
Leitet ein Bieter bereits zwei Tage nach seinen Rügeschreiben ein Vergabenachprüfungsverfahren ein, ohne die Abhilfe der Vergabestelle abgewartet zu haben, ist das Rechtsschutzinteresse zu verneinen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vergabestelle angekündigt hat, ihre Vergabeentscheidung erneut zu überprüfen und nicht erkennbar ist, dass ein Zuschlag droht (Anschluss an OLG Bremen, IBR 2007, 269).
VolltextIBRRS 2022, 2257
VK Südbayern, Beschluss vom 30.05.2022 - 3194.Z3-3_01-21-70
1. Ein e. V., der soziale Leistungen nach den Regelungen des SGB wie den Betrieb von Pflegeheimen erbringt, erfüllt im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art, auch wenn er von der evangelischen Kirche gegründet wurde und sich selbst als Teil dieser Kirche sieht.*)
2. Leistungsentgelte der Träger der Sozialhilfe für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen z. B. nach dem SGB IX oder XI sind nicht als reine Unterstützungsleistung, sondern als Vergütung einer spezifischen Gegenleistung anzusehen. Sie bleiben bei der Frage einer überwiegenden öffentlichen Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB außer Betracht.*)
3. Aufsichtsbefugnisse wie diejenigen nach dem PfleWoqG, die den Aufsichtsbehörden allenfalls beim Auftreten von Missständen bzw. Verstößen gegen öffentliches Recht durch den Auftraggeber und auch dann nur in besonderen, seltenen Konstellationen die Möglichkeit ergeben, auf die Vergabe öffentlicher Aufträge einen konkreten Einfluss zu nehmen, können keine gleichwertige Verbindung zum Staat schaffen, wie es die anderen beiden Alternativen des § 99 Nr. 2 GWB vermögen.*)
VolltextIBRRS 2022, 2302
VK Westfalen, Beschluss vom 12.07.2022 - VK 3-24/22
1. Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift wie etwa ein Erlass keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren, die Gegenstand einer vergaberechtlichen Prüfung sein kann.*)
2. Die Kostenschätzung kann zwar, sofern Umstände und Erkenntnisse dies erfordern, während des Vergabeverfahrens aktualisiert werden. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote abschließend durchgeführt werden.*)
3. Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2019 verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.*)
4. Die Unauskömmlichkeit eines Angebots hat nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge. Auch ist - wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen - Unauskömmlichkeit nicht mit Unangemessenheit gleichzusetzen. So spricht der BGH etwa ausdrücklich und ausschließlich von "Unangemessenheit" bzw. "unangemessen niedrigen Preisen" (vgl. IBR 2017, 209 = VPR 2017, 42).*)
5. Aus der Erklärung eines Bieters, die Leistung nicht (mehr) auskömmlich erbringen zu können, folgt nicht zwingend das Vorliegen eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis, das ausgeschlossen werden kann oder muss. Andernfalls hätte es der Bieter durch die Abgabe einer solchen Erklärung in der Hand, sich nach Angebotsabgabe und während der Bindefrist von seinem Angebot zu lösen.*)
6. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021 - Verg 1/20, IBRRS 2022, 1484 = VPRRS 2022, 0111 m.w.N.).*)
7. Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, a.a.O.). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., sowie Beschluss vom 09.07.2003 - Verg 26/03, IBRRS 2003, 1975 = VPRRS 2003, 0507 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, IBR 2008, 675 ).*)
IBRRS 2022, 2281
OLG Schleswig, Beschluss vom 15.07.2022 - 54 Verg 12/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat.
2. Liegen diese Voraussetzungen vor und hat sich der (insolvente) Bieter durch die Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen seines Unternehmens auf ein anderes Unternehmen tatsächlich außerstande gesetzt, den Auftrag zu erfüllen, ist ein Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht ermessensfehlerhaft.
3. Bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren kann auf den mutmaßlichen Ausgang des Verfahrens abgestellt werden, wenn dieser bei einer summarischen Prüfung des bisherigen Sach- und Streitstands hinreichend sicher prognostiziert werden kann.
4. Bei schriftlichen Erledigungserklärungen ist auf den Zeitpunkt des Eingangs der zustimmenden Erledigungserklärung abzustellen.
IBRRS 2022, 2279
VK Bund, Beschluss vom 01.06.2022 - VK 1-49/22
1. Zuschlagskriterien und deren Gewichtung müssen in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen transparent aufgeführt werden.
2. Die Formulierung "Angebote, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85% der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe '2 Punkte - entspricht den Anforderungen' erreicht wird, werden von der weiteren Wertung ausgeschlossen." ist transparent, eindeutig und verstößt auch nicht gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz.
VolltextIBRRS 2022, 2278
VK Nordbayern, Beschluss vom 04.03.2022 - RMF-SG21-3194-6-44
1. Stellt ein Mitglied einer Bietergemeinschaft einen Nachprüfungsantrag, so hat es den Nachprüfungsantrag im eigenen Namen gestellt, wenn aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers weder aus dem Nachprüfungsantrag selbst noch aus den diesem als Anlage beigefügten Unterlagen erkennbar war, dass der Antrag namens der Bietergemeinschaft gestellt werden sollte.*)
2. Eine von den Bietergemeinschaftsmitgliedern unterschriebene Vollmacht kann nur ab ihrer Offenlegung Außenwirkung entfalten. Der Rechtsprechung des OLG München (VPR 2015, 193) folgend wirkt eine nachträglich erteilte Vollmacht ohne Offenlegung der Vertretung bzw. der Prozessstandschaft nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung des Nachprüfungsantrags zurück. Nur dann, wenn die Antragstellerin im Nachprüfungsantrag hat erkennen lassen (oder es offenkundig gewesen wäre), dass sie als Bevollmächtigte Rechte der Bewerbergemeinschaft wahrnimmt, hätte sie eine Vollmachtsurkunde nachreichen können, um den Einwand mangelnder Bevollmächtigung zu widerlegen.*)
3. Das im Zivilprozess anerkannte Institut der gewillkürten Prozessstandschaft findet analog auch im Nachprüfungsverfahren Anwendung. Das Institut der gewillkürten Prozessstandschaft verlangt, dass der Antragsteller offenlegt, dass er im Verfahren im eigenen Namen fremde Rechte geltend macht. Ergibt sich weder aus dem Nachprüfungsantrag selbst noch mittelbar aus den beigefügten Anlagen ein Anhalt dafür, dass der Antragsteller nicht ein eigenes, sondern ein fremdes Recht einer Bewerbergemeinschaft geltend macht, mangelt es an der erforderlichen Offenlegung der Prozessstandschaft, sofern eine Prozessstandschaft auch nicht aus sonstigen Gründen offenkundig war.*)
4. Unternehmen, die keinen Teilnahmeantrag oder kein Angebot abgegeben haben, aber substantiiert rügen, gerade hieran durch vergaberechtswidriges Verhalten der Vergabestelle gehindert worden zu sein, sind insoweit grundsätzlich antragsbefugt. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend.*)
5. Bei der Auswahl der Eignungskriterien steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. Gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB ist allerdings erforderlich, dass die Eignungskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu dem Auftragsgegenstand in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Überprüfung der Festlegung der Eignungskriterien durch die Nachprüfungsinstanzen ist auf die Kontrolle der Einhaltung dieser Grenzen beschränkt.*)
VolltextIBRRS 2022, 2256
VK Südbayern, Beschluss vom 30.05.2022 - 3194.Z3-3_01-21-61
1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht verpflichtet im Vergabeverfahren zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden; vielmehr darf er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 - Verg 20/19, VPRRS 2020, 0082).*)
2. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Antragsgegner den Auftragsgegenstand in den Vergabeunterlagen in weiten Teilen funktional über zu lösende Aufgaben beschrieben hat.*)
3. Hat sich ein Bieter allerdings auf eine Ausführungsvariante festgelegt und bringt ein Mitbewerber gegen diese Art der Ausführung konkrete, substantiierte und auf den Einzelfall bezogene Einwände vor, die das Leistungsversprechen dieses Bieters als zweifelhaft erscheinen lassen, muss der öffentliche Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen des Bieters effektiv zu verifizieren.*)
4. Der öffentliche Auftraggeber ist in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei und nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt. Das vom Auftraggeber gewählte Mittel zur Überprüfung muss jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 - Verg 20/19, VPRRS 2020, 0082).*)
VolltextIBRRS 2022, 2195
VK Bund, Beschluss vom 04.07.2022 - VK 2-58/22
1. Der Rechtsweg des Nachprüfungsverfahrens ist nicht eröffnet, wenn der hierfür maßgebliche Auftragsschwellenwert im Rahmen des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens nicht überschritten wird.
2. Bei der Schätzung des Auftragswerts ist dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen. Die Überprüfung ist auf Nachvollziehbarkeit und Plausibilität beschränkt.
3. Die Kostenschätzung ist unter Zugrundelegung der ex-ante-Perspektive des Auftraggebers nur dann zu beanstanden, wenn diese beurteilungsfehlerhaft auf erkennbar unrichtigen Daten beruht, zur Verfügung stehende Daten oder eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt geblieben sind oder ungeprüft und pauschal Werte übernommen wurden.
4. Methodisch setzt die Schätzung des Auftragswerts zudem eine ernsthafte, realistische, vollständige und objektive Prognose voraus, die sich an den Marktgegebenheiten orientiert.
IBRRS 2022, 2194
VK Bund, Beschluss vom 11.03.2022 - VK 1-23/22
1. Ein Bieter darf nur dann von sich aus z. B. fehlende Unterlagen nachreichen, wenn der Auftraggeber ihn hierzu hätte auffordern müssen. In diesem Fall kommt der Bieter der zulässigen Aufforderung des Auftraggebers durch sein Verhalten lediglich zuvor.
2. Hat der Auftraggeber nachgeforderte Referenzen inhaltlich geprüft und für unzureichend erachtet, darf er den Bieter kein weiteres Mal zur Nachreichung von Referenzen auffordern.
3. Eine Nachforderung ist nur bei fehlenden, also in formaler Hinsicht nicht den ausgeschriebenen Anforderungen entsprechenden Unterlagen möglich, jedoch nicht, wenn diese Unterlagen in inhaltlicher Hinsicht nicht passen.
IBRRS 2022, 2193
VK Bund, Beschluss vom 13.04.2022 - VK 1-31/22
1. Der öffentliche Auftraggeber hat das Vergabeverfahren fortlaufend in Textform zu dokumentieren, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist.
2. Die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die mitgeteilten Gründe für getroffene Entscheidungen müssen so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind. Dabei sind die Anforderungen an den Detaillierungsgrad aus Gründen der Nachvollziehbarkeit größer, wenn es um die Dokumentation von Entscheidungen geht, die die Ausübung von Ermessen oder die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums enthalten.
3. Für den Bereich der Ingenieur- und Architektenleistungen stellt die mündliche Präsentation von Planung und Team ein übliches Verfahren bei der Auswahl des am besten erscheinenden Bieters dar. Dabei sind die Anforderungen an den Detaillierungsgrad des Vergabevermerks aus Gründen der Nachvollziehbarkeit besonders hoch, wenn die qualitative Bewertung im Wesentlichen auf einer mündlichen Vorstellung der zur Verhandlungsrunde zugelassenen Büros beruht.
4. Der öffentliche Auftraggeber nimmt die Angebotswertung selbst vor. Die Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar. Allerdings ist die Hinzuziehung externen Sachverstands bei der Wertung zulässig, solange die Vergabeentscheidung vom Auftraggeber selbst getragen wird.
IBRRS 2022, 2191
VK Bund, Beschluss vom 03.03.2022 - VK 1-15/22
1. Liegt der Angebotspreis des Bestbieters Beigeladenen weniger als 20% unter dem Preis des nächstteureren Angebots, sind die Aufgreifschwellen, ab denen ein Auftraggeber verpflichtet ist, einen Angebotspreis zu überprüfen, zwar nicht erreicht. Der Auftraggeber ist gleichwohl zu einer Überprüfung des Angebotspreises berechtigt, wenn seine dementsprechenden eigenen Wertungs- und Prüfungsvorgaben (bestimmter prozentualer Abstand vom eigenen Schätzpreis) erfüllt sind.
2. Frühere Schlechtleistungen bei den ausgeschriebenen Leistungen, die auf unangemessen niedrigen Angebotspreisen in einem vorangegangenen Vergabeverfahren beruhen, lassen per se keinen Rückschluss auf eine vergaberechtswidrige Preiskalkulation des Bestbieters zu.
Volltext