Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
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IBRRS 2022, 1408VK Nordbayern, Beschluss vom 16.02.2022 - RMF-SG21-3194-7-1
1. Hat die Vergabestelle im Bieterinformationsschreiben eine zu kurze Frist gem. § 134 Abs. 2 GWB angegeben, hat die Wartefrist nicht zu laufen begonnen (vgl. OLG Düsseldorf, VPR 2019, 216).*)
2. Für den Rechtsverkehr ist entscheidend, dass die Identität des Vertragspartners erkennbar ist. Maßgeblich ist hierbei der objektive Empfängerhorizont aus Sicht eines mit den Umständen des Einzelfalls vertrauten Dritten in der Lage der Vergabestelle.*)
3. Hat ein Bieter weder in dem hierfür auf Seite 1 des Formblatts L 213 vorgesehenen Adressfeld noch an anderer Stelle im Angebotsschreiben seinen Namen und Anschrift benannt, hat er nicht deutlich und zweifelsfrei zu erkennen gegeben, ob das Angebot überhaupt von ihm stammt und von ihm rechtsverbindlich erklärt wird. Wurde in einem anderen Textfeld des Formblatts L 213 Telefon- und Faxnummer, Umsatzsteuer- und Handelsregisternummer sowie eine E-Mail-Adresse genannt, genügt dies allein nicht, um zweifelsfrei als Bieter identifiziert zu werden. Der Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet - auch bei geringem Aufwand - den Bieter erst anhand bestimmter Angaben selbst zu recherchieren, insbesondere wenn der Auftraggeber ausdrücklich die Erkennbarkeit des Bieters im Formblatt L 213 verlangt hat.*)
4. Ebenso wenig genügt es, dass ein Bieter noch weitere Unterlagen als Anlage mit seinem Angebot eingereicht hat, wenn zum einen die Vergabestelle die Erkennbarkeit des Bieters bereits im Angebotsschreiben verlangt hat und zum anderen der Zuschlagsprätendent auch aus den eingereichten Unterlagen nicht eindeutig als Bieter erkennbar ist, da dort teilweise auch andere Firmen benannt werden.*)
IBRRS 2022, 1206
VK Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2021 - VK 11/21
1. Dienstleistungskonzessionen sind entgeltliche Verträge, mit denen Konzessionsgeber ein Unternehmen mit der Erbringung von Dienstleistungen betrauen und bei denen die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht.
2. Eine Dienstleistungskonzession ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenleistung des Auftraggebers nicht in Form der Zahlung einer Vergütung erfolgt, sondern in der Verleihung des Rechts, die zu erbringende Dienstleistung entgeltlich zu verwerten, wobei das Risiko hierfür beim Auftragnehmer liegt.
3. Wenn die Zahlung von Dritten erbracht wird, folgt daraus, dass der Dienstleistungserbringer das Betriebsrisiko der fraglichen Dienstleistung übernimmt.
VolltextIBRRS 2022, 1394
OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.03.2022 - 11 Verg 10/21
1. Auch von einem fachkundigen und erfahrenen Bieter darf nicht ohne Weiteres erwartet werden, dass er i.S.v. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB weiß, dass eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, als konkludent aufgestellte Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen ist.*)
2. Eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, ist nicht ohne Weiteres als Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen. Gegen eine Auslegung der Vorgabe als Mindestanforderung für Nebenangebote kann sprechen, dass eine Mehrzahl von Bietern, die sich am Vergabeverfahren beteiligten, Nebenangebote abgaben, die diesen Vorgaben nicht entsprachen.*)
3. Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b VOB/A zum Schutz der Bieter keinen Raum.*)
IBRRS 2022, 1383
VK Lüneburg, Beschluss vom 22.02.2022 - VgK-3/2022
1. Die Bewertung des öffentlichen Auftraggebers erfolgt auf der Grundlage, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt.
2. Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
3. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Bewertung grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt überprüfbar ist.
4. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums ist regelmäßig (nur) anzunehmen, wenn das vorgegebene Vergabeverfahren nicht eingehalten worden ist, nicht von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wird oder sachwidrige Erwägungen einbezogen werden, oder wenn der im Rahmen der Beurteilungsermächtigung einzuhaltende Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewendet wird oder das Ermessen auf null reduziert war und der Auftraggeber dies verkannt hat.
5. Ein Geschäftsgeheimnis ist eine Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.
6. Zwar sind Angebotsteile oder Teile der Dokumentation, die Rückschlüsse auf Angebotsinhalte zulassen, nicht per se von der Akteneinsicht ausgenommen. Die Vergabekammer darf jedoch nicht ohne Anhörung der Betroffenen über eine Akteneinsicht entscheiden, weil sie nicht anstelle eines Bieters über den Umfang seiner Geschäftsgeheimnisse entscheiden kann.
VolltextIBRRS 2022, 1380
OVG Sachsen, Urteil vom 02.03.2022 - 6 A 851/19
1. Dürfen Zuwendungen nur für solche Vorhaben bewilligt werden, die nicht vor Antragseingang bei der Bewilligungsbehörde begonnen worden sind, gilt als Beginn des Vorhabens die erste rechtliche Verpflichtung zur Bestellung von Ausrüstung oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder eine andere Verpflichtung, die das Vorhaben unumkehrbar macht.
2. Offensichtliche Irrtümer, die von der zuständigen Behörde auf Grundlage einer umfassenden Einzelfallbewertung anerkannt wurden, können berichtigt werden, wenn der Begünstige im guten Glauben gehandelt hat.
3. Ein offensichtlicher Irrtum liegt dann vor, wenn er sich aus dem Zusammenhang der Erklärung oder aus den Vorgängen bei ihrer Abgabe auch für jeden Dritten ohne Weiteres zweifelsfrei ergibt.
VolltextIBRRS 2022, 1353
VK Berlin, Beschluss vom 23.03.2022 - VK B 2-40/21
Auch wenn der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer keinen Antrag auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung seines Verfahrensbevollmächtigten gestellt und die Vergabekammer (auch) hinsichtlich der Aufwendungen des Beigeladenen lediglich eine Kostengrundentscheidung getroffen hat, kann die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nachgeholt werden.
VolltextIBRRS 2022, 1352
VK Berlin, Beschluss vom 14.03.2022 - VK B 2-40/21
1. Ein Vergabeverfahren zur Bestellung eines Erbbaurechts ist ein öffentlicher Bauauftrag bzw. eine Baukonzession, wenn der Auftraggeber entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des zu errichtenden Bauwerks nimmt und die Nutzung des Bauwerks dem Auftraggeber unmittelbar zugute kommt.
2. Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste bzw. auf ein wirtschaftlich vorteilhaftes Angebot erteilt. Grundlage dafür ist die Bewertung des Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt.
3. Insbesondere im Rahmen einer Qualitätswertung von Konzepten muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sind.
4. Der Auftraggeber ist zwar nicht gehindert, sich bei der Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens ganz oder teilweise der Hilfe Dritter zu bedienen, die über einen qualifizierten Sachverstand verfügen. Nicht zulässig ist es dagegen, die Verantwortung für die Vergabe an Dritte vollständig zu übertragen.
5. Die Vergabeakte muss erkennen lassen, dass die zu treffenden Entscheidungen vom Auftraggeber selbst getroffen wurden und nicht etwa von einem mit der Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragten Ingenieurbüro oder sonstigen Sachverständigen oder Dritten.
6. Von einem durchschnittlichen Bieter ist zu erwarten, dass er die Zuschlagskriterien, die über die Erfolgsaussichten seines Angebots entscheiden, intensiv betrachtet und eine etwaige Unbestimmtheit dieser Kriterien fristgerecht rügt.
IBRRS 2022, 1330
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.05.2021 - Verg 7/21
1. Die Kostenentscheidungen der Vergabekammern sind anfechtbar. Das gilt auch, wenn nur ein Teil der Kostenentscheidung der Vergabekammer isoliert angegriffen wird.
2. Die Kosten eines Rechtsanwalts sind als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Kosten erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
3. Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch den öffentlichen Auftraggeber kann nicht schematisch, sondern stets nur auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls entschieden werden.
4. Hinsichtlich des Zeitpunkts für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist auf die die Aufwendungen verursachende Handlung abzustellen.
5. Erweist sich jedoch die Hinzuziehung anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter aufgrund nachträglicher, sich aus dem gegnerischen Vorbringen ergebender Erschwernisse erst zu einem späteren Zeitpunkt als notwendig, kann die Hinzuziehung ab diesem Zeitpunkt für notwendig erklärt werden, und zwar unabhängig davon, ob die anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten bereits beauftragt waren.
VolltextIBRRS 2022, 1315
VK Berlin, Beschluss vom 25.03.2022 - VK B 2-53/21
1. Eine juristische Person des Privatrechts (hier: ein Fußballverein), der von einem öffentlichen Auftraggeber Mittel erhält, mit denen der Bau einer Sporteinrichtung (hier: ein Nachwuchsleistungszentrum) zu mehr als 50% subventioniert wird, ist ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts.
2. Bei der Bemessung der überwiegenden Subventionierung kommt es nur auf die projektbezogene Förderung des Vorhabens und nicht auf eine allgemein oder für andere Projekte dem Sportverein zufließende öffentliche Förderung an.
3. Ausschlaggebend für die Berechnung ist der Zeitpunkt der Ausschreibung.
4. Auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis oder mit unangemessen hohen oder niedrigen Kosten darf der Zuschlag nicht erteilt werden.
5. Vor der Ablehnung eines Angebots ist vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen, wenn der Angebotspreis unangemessen niedrig erscheint und anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen ist.
6. Weist das Angebot eines Bieters einen Abstand von mehr als 10% zum nächsthöheren Angebot auf, ist der Auftraggeber zwar nicht zu einer Preisprüfung verpflichtet, aber gleichwohl dazu berechtigt.
IBRRS 2022, 1314
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.08.2021 - Verg 52/20
1. Das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag wird in der Regel durch die Angebotsabgabe dokumentiert. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht werden. In diesem Fall wird das Interesse am Auftrag durch die Erhebung von Rügen und die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens belegt.
2. Ist der Zuschlag ohne vorherige Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens direkt an ein Unternehmen vergeben worden, hat grundsätzlich jedes Unternehmen ein Interesse an dem Auftrag, das sich am Vergabeverfahren hätte beteiligen können. Dazu reicht es in der Regel aus, wenn das Unternehmen zu der in Betracht kommenden Branche gehört und damit generell dafür eingerichtet ist, Aufträge dieser Art auszuführen.
3. Auf der anderen Seite geht es bei dem Interesse am Auftrag nicht um eine bloß erklärte Interessenbekundung, sondern um ein objektiv feststellbares wirtschaftliches Interesse des antragstellenden Unternehmens gerade an dem konkreten Auftrag.
4. Das Vergabenachprüfungsverfahren soll nicht Unternehmen eröffnet sein, denen es ausschließlich um eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ohne eigenes Interesse an dem konkreten Auftragt geht. Aus diesem Grund ist das Interesse am Auftrag zu plausibilisieren, wenn - weil sich der Antragsteller trotz bestehender Leistungsfähigkeit bis dato an keinem vergleichbaren Vergabeverfahren beteiligt hat - ernstliche Zweifel bestehen, dass der Antragsteller tatsächlich ein wirtschaftliches Interesse an dem konkreten Auftrag hat.
5. Das Akteneinsichtsrecht besteht nur in dem Umfang, wie es zur Durchsetzung der subjektiven Rechte des betreffenden Verfahrensbeteiligten erforderlich ist. Es hat eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion und besteht dann nicht, wenn der Nachprüfungsantrag zweifelsfrei unzulässig ist.
VolltextIBRRS 2022, 1272
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.03.2021 - Verg 33/20
1. Mit dem wirksam erteilten Zuschlag erledigt sich das Vergabenachprüfungsverfahren, ohne dass es insoweit einer Prozesserklärung der Verfahrensbeteiligten bedarf. Eine später erklärte Rücknahme des Nachprüfungsantrags ist als Erledigungserklärung auszulegen.
2. Die nach dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu treffende Kostenentscheidung hat sich an dem voraussichtlichen Verfahrensausgang zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses zu orientieren.
3. Die Erstattungspflicht umfasst außer den Kosten für die Hauptsache und das Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB auch die Kosten, die durch ein Verfahren nach § 176 GWB entstanden sind.
4. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden.
VolltextIBRRS 2022, 1270
EuGH, Urteil vom 31.03.2022 - Rs. C-195/21
1. Art. 58 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18.12.2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags als Auswahlkriterien zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer strengere Anforderungen als die insoweit von den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Mindestanforderungen aufstellen darf, soweit mit den Anforderungen sichergestellt werden kann, dass ein Bewerber oder ein Bieter über die für die Ausführung des zu vergebenden Auftrags erforderliche technische und berufliche Eignung verfügt, und die Anforderungen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und mit diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen.*)
2. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates dahin auszulegen, dass er vorbehaltlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einer unterschiedlichen Beurteilung derselben Tatsachen durch die zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union berufenen nationalen Behörden nicht entgegensteht.*)
VolltextIBRRS 2022, 1231
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.04.2022 - Verg 32/21
1. Der Ausschluss des Angebots eines Bieters wegen einer Änderung an den Vergabeunterlagen setzt voraus, dass die Angaben in den Vergabeunterlagen, von denen das Angebot eines Bieters abweicht, eindeutig sind.
2. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche und mehrdeutige Angaben rechtfertigen keinen Ausschluss, da Zweifel an der Auslegung und fehlende eindeutige Vorgaben grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers gehen.
3. Was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, ist anhand der Leistungsbeschreibung einschließlich der anderen Vergabeunterlagen zu ermitteln. Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist.
4. Wird ein Gerüst im klassischen Sinne, bestehend aus Gerüstbauteilen, ausgeschrieben, zählen Hubarbeitsbühnen nicht dazu.
IBRRS 2022, 1219
OLG Schleswig, Beschluss vom 04.02.2022 - 54 Verg 9/21
1. Ein Antragsteller hat ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB, wenn die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag nur teilweise durch Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in ein früheres Stadium stattgegeben hat, ohne den Zuschlag wegen weiterer erhobener Rügen zu verbieten.*)
2. An eine Rüge eines Bieters in einem Vergabeverfahren sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie ist an keine bestimmte Form gebunden. Sie kann auch als Frage formuliert sein, solange der Bieter deutlich macht, dass er in einem bestimmten Sachverhalt einen Vergaberechtsverstoß sieht und Abhilfe erwartet.*)
3. Einem Konzept, in dem die Bieter lediglich allgemein die Vorteile des Beschaffungsgegenstandes beschreiben sollen, fehlt der notwendige Auftragsbezug, weil dadurch das qualitativ beste Angebot nicht ermittelt werden könnte.*)
4. Einem Konzept, in dem geplante Neuerungen und Innovationen beschrieben werden sollen, fehlt tendenziell der Auftragsbezug, weil es tendenziell nicht um die nachgefragte Leistung, sondern um eine möglicherweise in Zukunft anzubietende Leistung geht, für die ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden müsste.*)
5. Zwischen der in einem Konzept geforderten Darstellung der angebotenen Leistung und den Kriterien eines Bewertungsschemas muss ein objektiver Zusammenhang hergestellt werden können.*)
VolltextIBRRS 2022, 1209
VK Berlin, Beschluss vom 18.03.2022 - VK B 2-1/22
1. Die Bieter haben Anspruch darauf, dass öffentliche Auftraggeber die von ihnen geforderte Leistung eindeutig und erschöpfend beschreiben, so dass im Sinne eines transparenten Verfahrens alle Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können.
2. Die Vergabeunterlagen entsprechen diesen Maßstäben nicht, wenn "die Qualität durch PIV Cert + Zertifikate nachzuweisen" ist, aber letztlich unklar bleibt, welche Qualitätsanforderungen durch ein entsprechendes Zertifikat nachzuweisen sind.
IBRRS 2022, 1195
OLG Schleswig, Beschluss vom 28.03.2022 - 54 Verg 11/21
1. Die Vergabestellen sind verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden.
2. Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
3. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben. Unklare Vorgaben der Vergabestelle dürfen nicht zu Lasten der Bieter gehen.
IBRRS 2022, 1185
VK Bund, Beschluss vom 08.03.2022 - VK 2-16/22
Ein Verstoß gegen das Gebot produktneutraler Ausschreibung liegt nicht vor, wenn die spezifischen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses aufgrund der besonderen Anforderungen des Bauauftrags sachlich gerechtfertigt und durch das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt sind.
IBRRS 2022, 1160
VK Brandenburg, Beschluss vom 01.06.2021 - VK 6/21
1. In der Leistungsbeschreibung darf grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes Produkt oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden.
2. Ausnahmsweise darf vom diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Die produktspezifische Ausschreibung ist als gerechtfertigt anzusehen, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
3. Bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. Dabei muss die Entscheidung nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein. Dagegen ist eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich.
VolltextIBRRS 2022, 1147
VK Hessen, Beschluss vom 01.07.2021 - 69d-VK-2-16/2021
Schreibt der Auftraggeber die Anmietung einer technischen Anlage zur Durchführung von Schulungsmaßnahmen aus, stellen der Neubau der Anlage und ihr Transport an die jeweiligen Veranstaltungsorte durch Dritte keine Einbeziehung von Unterauftragsleistungen durch den Bieter dar.
VolltextIBRRS 2022, 1141
VG Cottbus, Urteil vom 21.12.2021 - 3 K 2560/17
1. Eine Auflage entfaltet Wirksamkeit erst mit Bekanntgabe des Bescheids. Ob der Zuwendungsempfänger allgemein gegen Vorgaben zur Einhaltung von Vergabebestimmungen verstoßen hat, ist unerheblich. Es kommt darauf an, ob und wann die Einhaltung vergaberechtlicher Vorgaben in das Zuwendungsverhältnis einbezogen wurde.
2. Eine rückwirkende Anwendung einer Auflage im Zuwendungsbescheid zur Einhaltung des Vergaberechts kann allenfalls angenommen werden, wenn die Auflage ihrem Inhalt nach rückwirkend in Kraft treten soll.
3. Bei Verfehlung des mit der Gewährung von öffentlichen Zuschüssen verfolgten Zwecks kann das Ermessen nur durch eine Entscheidung für den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen (sog. intendiertes Ermessen).
VolltextIBRRS 2022, 1116
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2021 - Verg 45/20
1. Mit dem vom Auftraggeber wirksam erteilten Zuschlag erledigt sich das Vergabenachprüfungsverfahren, ohne dass es insoweit einer Prozesserklärung der Verfahrensbeteiligten bedarf.
2. Nimmt der Antragsteller den Nachprüfungsantrag nach Zuschlagserteilung zurück, ist die Erklärung dahingehend auszulegen, keinen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen zu wollen.
3. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden.
VolltextIBRRS 2022, 1104
BVerwG, Beschluss vom 04.01.2022 - 3 B 14.21
1. Ein Schaden ist keine Voraussetzung für die Ablehnung oder Zurücknahme der vollständigen Förderung. Wird festgestellt, dass der Begünstigte falsche Nachweise vorgelegt hat, um die Förderung zu erhalten, oder er es verabsäumt hat, die erforderlichen Informationen zu liefern, wird die Förderung abgelehnt oder vollständig zurückgenommen.
2. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein fahrlässiges Handeln hinsichtlich der Nichtlieferung der erforderlichen Informationen, womit das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gemeint ist. Auf zusätzliche kognitive (Kenntnis, dass die Förderung unrechtmäßig ist) und voluntative Elemente (Zweckverfolgung), kommt es nicht an.
VolltextIBRRS 2022, 1032
VK Nordbayern, Beschluss vom 05.08.2021 - RMF-SG21-3194-6-20
1. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft. Für die Zulässigkeit genügt eine schlüssige Behauptung. Die Rechtsfrage, ob die ASt tatsächlich in ihren Rechten verletzt ist, ist eine Frage der Begründetheit. Sofern wenigstens Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergabeverstoß begründen, darf die ASt aufgrund ihres Wissens subjektiv mögliche bzw. wahrscheinliche Vergabeverstöße behaupten, insbesondere wenn es um solche geht, die ausschließlich der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen sind oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen.*)
2. Die Berücksichtigung einer verfristeten Rüge durch die Vergabekammer von Amts wegen ist nicht möglich. Wenn ein Verstoß gegen Vergabevorschriften nicht gerügt wird und damit präkludiert ist, kann die Kammer insoweit nicht mehr auf eine Abhilfe hinwirken, da der Antragsteller durch den präkludierten Verstoß auch nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen ist es zulässig, dass präkludierte Verstöße aufgegriffen werden, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht.*)
3. Gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Angebote von der Wertung auszuschließen, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind.*)
4. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht. Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte.*)
VolltextIBRRS 2022, 1031
VK Westfalen, Beschluss vom 21.10.2021 - VK 2-41/21
1. Öffentliche Auftraggeber, die Aufträge nicht im Rahmen ihrer Sektorentätigkeit vergeben, sind dem allgemeinen Vergaberecht unterworfen, selbst wenn sie auch oder vornehmlich eine Sektorentätigkeit ausüben. Eine "Infizierung" aller Tätigkeitsfelder der betreffenden Einheit durch die Sektorentätigkeit findet nicht statt (vgl. EuGH, Urteil vom 10.04.2008 Rs. C-393/06, IBRRS 2008, 1138 = VPRRS 2008, 0102).*)
2. Maßgeblich ist insoweit, ob eine Beschaffung einer in § 102 GWB aufgeführten Tätigkeit im engeren Sinne der Sektorentätigkeit dient (vgl. EuGH, Urteil vom 16.06.2006 - Rs. C-462/03). Es genügt nicht, dass die Dienstleistungen einen positiven Beitrag zu den Tätigkeiten des Auftraggebers leisten und dessen Rentabilität erhöhen (vgl. EuGH, Urteil vom 28.10.2020 - Rs. C-521/18, IBRRS 2020, 3214 = VPRRS 2020, 0322).*)
3. Vor dem Hintergrund größtmöglichem Wettbewerbs muss zudem die "Janusköpfigkeit" der §§ 100 ff. GWB Berücksichtigung finden. Während die Sektoreneigenschaft einen grundsätzlich vom Vergaberecht befreiten privaten Akteur verpflichtet, eine Ausschreibung unter Berücksichtigung vergaberechtlicher Vorgaben durchzuführen, gewährt die Einordnung einer Tätigkeit als Sektorentätigkeit der öffentlichen Hand erhebliche vergaberechtliche Erleichterungen.*)
4. So soll der private Akteur, der aufgrund seiner Sektorentätigkeit in einem äußerst eng umgrenzten Feld tätig ist, in seiner daraus resultierende Auswahl- und Durchsetzungsmacht bei Vertragsschlüssen mit Dritten "eingehegt" werden. Andererseits soll die öffentliche Hand nur ausnahmsweise die Privilegierung einer "Sektorenvergabe" genießen dürfen.*)
5. Die Festlegung von CPV-Codes im Rahmen einer Ausschreibung durch den Auftraggeber dürfte nicht dazu führen, dass der Vergaberechtsweg verkürzt oder gar aufgehoben wird. Die maßgeblichen CPV-Codes mögen zwar einen Anhaltspunkt bieten, ob besondere vergaberechtlich privilegierte Leistungen Gegenstand einer Ausschreibung sind. Ein Automatismus zur Privilegierung besteht hierdurch freilich nicht. Denn ob es sich um soziale oder andere besondere Dienstleistungen handelt, ist immer auch eine Frage, inwieweit sie aufgrund ihrer Natur nach lediglich eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension haben und in einem besonderen Kontext erbracht werden, der sich aufgrund unterschiedlicher kultureller Traditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterschiedlich darstellt.*)
6. Grundsätzlich ist bei langfristigen Bedarfen - insbesondere bei wiederkehrenden Leistungen - eine erhebliche Beschränkung der Vertragslaufzeit unzulässig. Denn hierin wird regelmäßig ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 VgV gesehen, der eine Unterteilung einer Auftragsvergabe in der Absicht, die Bestimmungen des Vergaberechts zu umgehen, sanktioniert. Freilich gibt es Ausnahmekonstellationen, in denen auch kurze Vertragslaufzeiten zulässig sind.*)
7. Jedoch mag ein ungewisser Umstand grundsätzlich nicht dazu führen, dass aufgrund von Unwägbarkeiten kurze Vertragslaufzeiten mit der Konsequenz geschlossen werden, dass die maßgeblichen Aufträge dem Vergaberecht entzogen werden.*)
IBRRS 2022, 1020
VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 - VK 2-7/22
1. Im Rahmen der Antragsbefugnis muss der Antragsteller zumindest ansatzweise plausibel darlegen, dass er ohne die beanstandeten Anforderungen ein teilweise anderes, tendenziell chancenreicheres Angebot abgegeben hätte, weil sonst für die Nachprüfungsinstanzen unklar bleibt, inwieweit die gerügten Vergabebedingungen den Antragsteller wirklich beeinträchtigt haben.*)
2. Der Antragsteller ist allerdings nicht verpflichtet, in diesem Fall tatsächlich ein Angebot abzugeben.*)
3. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar.*)
4. Optische Erwägungen liegen - etwa im Unterschied zu technischen Vorgaben - im sprichwörtlichen Auge des Betrachters. Insoweit würdigt die Kammer nicht in ästhetischer Hinsicht. Vielmehr prüft die Kammer die vorgebrachten Erwägungen auf Nachvollziehbarkeit.*)
IBRRS 2022, 1011
VK Südbayern, Beschluss vom 14.02.2022 - 3194.Z3-3_01-21-44
1. Versucht ein Auftraggeber in einem europaweiten Vergabeverfahren über Bauleistungen entgegen § 8a EU VOB/A 2019 statt der VOB/B ein weitgehend abweichendes vertragliches Regelwerk zur Anwendung zu bringen, kann der Verstoß gegen § 8a EU VOB/A 2019 im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, da es sich (auch) um eine vergaberechtliche Norm handelt.*)
2. Eine zivilrechtliche Prüfung von Vertragsklauseln in Form einer AGB-Inhaltskontrolle findet im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht statt.*)
3. Stellt ein Auftraggeber eine mit den derzeit am Markt verfügbaren Produkten nicht erfüllbare technische Spezifikation in der Leistungsbeschreibung auf, muss er sein Abrücken von dieser Spezifikation im Rahmen der Beantwortung einer Bieterfrage klar und eindeutig kommunizieren und zweifelsfrei festlegen, was stattdessen gelten soll. Ansonsten liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung nach § 121 Abs. 1 GWB vor.*)
IBRRS 2022, 1017
VK Westfalen, Beschluss vom 13.08.2021 - VK 3-26/21
1. Sofern für einzelne Leistungsbestandteile ein eigener funktionierender Markt existiert und die Leistungserbringung nicht aus einer Hand erfolgen muss, erfolgt die Beschaffung losweise.*)
2. Die Beantwortung der Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es im Sinne des Gesetzes "erfordern", von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung voraus. Dabei steht dem Auftraggeber wegen der dabei anzustellenden prognostischen Überlegungen eine Einschätzungsprärogative zu.*)
3. Die Frage, ob gemäß § 97 Abs. 4 GWB Fachlose zu bilden sind, ist für jede in Betracht kommende Leistung getrennt zu beantworten. Das bedeutet zum einen, dass die "wirtschaftlichen oder technischen Gründe", die die Norm verlangt, sich auf die jeweilige Leistung beziehen müssen, die für eine getrennte Losvergabe in Betracht kommt. Globale, also das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auch und gerade die jeweilige Leistung erfassen. Andererseits ist damit auch klar, dass die Entscheidung über die Bildung eines Fachloses für eine bestimmte Leistung keine Aussage darüber trifft, ob auch für andere Leistungen Fachlose zu bilden sind, oder ob der "Rest" des geplanten Projekts einheitlich vergeben werden kann.*)
4. Gründe, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen, können grundsätzlich keine Gesamtvergabe rechtfertigen. Die Sicherstellung ausreichender Personalkapazitäten liegt im Verantwortungsbereich des Antragsgegners. Steigende Personalkosten auf Grund von notwendigen Neueinstellungen können daher grundsätzlich keine Gesamtlosvergabe begründen.*)
5. Das Vergaberecht sieht grundsätzlich keine "Flucht ins vergabefreie Privatrecht" vor, indem viele Leistungen "gesamt" an einen Auftragnehmer vergeben werden, damit dieser dann, ohne dem Vergaberecht unterworfen zu sein, die einzelnen Leistungsbestandteile an Nachunternehmer vergibt.*)
VolltextIBRRS 2022, 0941
EuGH, Urteil vom 13.01.2022 - Rs. C-327/20
Der Begriff "Geschäftsverkehr" im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.02.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass er nicht den Fall erfasst, dass eine öffentliche Stelle von einem Unternehmen, dessen Gläubigerin diese öffentliche Stelle ist, als Entgelt für den Erbnießbrauch an einem Grundstück eine Gebühr erhebt.*)
VolltextIBRRS 2022, 0860
LG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.2021 - 4 O 408/20
1. Fühlt sich ein Bieter im Rahmen eines Vergabeverfahrens im sog. Unterschwellenbereich in seinen Rechten beeinträchtigt, kann er - solange der Zuschlag noch nicht erteilt ist - im Wege der einstweiligen Verfügung gegen die von ihm angenommene Benachteiligung vorgehen.
2. Ein einstweiliges Verfügungsverfahren ist auch dann zulässig, wenn gegen ein Unternehmen ein genereller Ausschluss von Vergabeverfahren verfügt wird, der in ein dafür eingerichtetes Register eingetragen werden kann.
3. Ein auf ein Landesgesetz gestützter genereller Ausschluss von Vergabeverfahren ist rechtswidrig, wenn das betroffene Unternehmen dadurch auch von Vergabeverfahren im sog. Oberschwellenbereich ausgeschlossen wird.
VolltextIBRRS 2022, 0911
OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2022 - 11 Verg 8/21
1. Die Ausschreibung eines Rahmenvertrags, durch den sich ein privater Dienstleister gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, eine Vermittlungszentrale für hoheitlich veranlasste Abschleppdienstleistungen zu betreiben, verstößt gegen § 97 Abs. 1 GWB, wenn der private Dienstleister ein Vermittlungsregister für Abschleppunternehmen führen soll und wenn er insoweit Auswahlentscheidungen treffen muss (und darf), die ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber obliegen. Dies gilt auch dann, wenn die Vermittlungszentrale bei der Beauftragung der registrierten Abschleppunternehmen strikt nach einem von vorneherein festgelegten Reihum-Verfahren vorgehen muss.*)
2. Wenn der Ausschreibung ein fehlerhaftes Verständnis von der Zulässigkeit der Delegation von Vergabeentscheidungen zu Grunde liegt und deshalb bei Fortbestand der Beschaffungsabsicht eine Neuorientierung der Aufgabenstellung der Vermittlungszentrale notwendig wird, dann ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer nicht zu beanstanden.*)
IBRRS 2022, 0875
OLG Schleswig, Beschluss vom 28.04.2021 - 54 Verg 2/21
1. Eine zum zwingenden Ausschluss des Angebots führende Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn das Angebot von den Leistungsvorgaben in der Ausschreibung abweicht. Das gilt auch, wenn die betroffene Position wirtschaftlich unbedeutend ist.
2. Der Ausschluss eines Angebots unter rein formalen Gesichtspunkten kommt nicht in Betracht. Etwaige Unklarheiten sind im Wege der Aufklärung zu beseitigen.
3. Produktangaben in Angeboten sind wörtlich zu nehmen, wenn sie eindeutig sind. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Bieter nur das anbieten will, was in der Ausschreibung gefordert ist.
IBRRS 2022, 0872
VK Westfalen, Beschluss vom 17.12.2021 - VK 2-47/21
1. Jeder Angebotsausschluss ist eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme, für die es einen triftigen Grund geben muss. Die Kehrseite eines jeden auf eine wie auch immer rechtlich zu qualifizierende Diskrepanz zwischen Vergabeunterlagen und Angebot gestützten Angebotsausschlusses ist das Erfordernis einer eindeutigen und unmissverständlichen Vorgabe des Auftraggebers.
2. Die Vergabeunterlagen müssen klar und verständlich sein. Dass die Bieter die Vergabeunterlagen auslegen müssen, macht diese als solches nicht vergaberechtswidrig.
3. In vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen erst dann, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.
4. Kommen nach einer Auslegung der Vergabeunterlagen mehrere Verständnismöglichkeiten in Betracht oder können Unklarheiten oder Widersprüche nicht aufgelöst werden, geht dies zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers.
IBRRS 2022, 0859
VK Westfalen, Beschluss vom 29.11.2021 - VK 1-43/21
1. Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünfte sind weder soziale noch besondere Dienstleistungen i.S.v. § 130 Abs. 1 GWB.
2. Die Wahl der falschen Verfahrensart stellt einen Vergabeverstoß dar, der der Beendigung des Verfahrens durch Zuschlagserteilung grundsätzlich entgegensteht.
VolltextIBRRS 2022, 0849
VK Westfalen, Beschluss vom 14.07.2021 - VK 2-20/21
1. Die Eignungskriterien und damit auch die hierfür vorzulegenden Nachweise sind in der Bekanntmachung aufzuführen.
2. Fordert der Auftraggeber die Vorlage von Referenzen, die nicht älter als drei Jahre sind und die sich auf die Leistungserbringung im laufenden Krankenhausbetrieb beziehen, und legt ein Bieter Referenzen vor, die entweder älter als drei Jahre sind oder die keine Referenzen über die Leistungserbringung im laufenden Krankenhausbetrieb sind, verfügt er über die keine aufgestellten Mindestanforderungen erfüllenden Nachweise.
VolltextIBRRS 2022, 0831
VK Westfalen, Beschluss vom 09.02.2022 - VK 2-59/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann Kalkulationsvorgabe aufstellen. Diese schränken zwar die Kalkulationsfreiheit der Bieter ein und kanalisieren in gewissem Umfang den Preiswettbewerb, beruhen jedoch auf der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers.
2. Wie sonstige Festlegungen des Auftraggebers unterliegen sie dem Gebot der Eindeutigkeit und Bestimmtheit.
3. Eine auf Nachfrage des Auftraggebers vorgenommene Erläuterung zur Kalkulation des Einheitspreises ändert - anders als dies bei einer Erläuterung zur Leistungserbringung der Fall sein kann - den Angebotsinhalt nicht.
VolltextIBRRS 2022, 0799
VK Bund, Beschluss vom 27.01.2022 - VK 2-137/21
1. Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden. Vielmehr darf er sich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen.
2. Eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergibt sich nur dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen. In diesen Fällen muss der öffentliche Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen der Bieter effektiv zu verifizieren.
3. Der Vorauftragnehmer und unterlegene Bieters kann sich nicht auf urheberrechtliche Schutzrechte (hier: an einer Software) berufen, wenn er das dauerhafte Nutzungsrecht daran auf den Auftraggeber übertragen hat.
4. Ein Wettbewerb durch sog. Newcomer, die aus früherer Tätigkeit ihrer Mitarbeiter bei einem anderen Unternehmen erworbenes Know-how mitbringen, ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber dies explizit zugelassen hat.
5. Für die Zurechnung früherer Referenzen zu einem neuen Unternehmen ist erforderlich, dass eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern in den neu gegründeten Unternehmen festgestellt werden kann.
IBRRS 2022, 0772
EuGH, Urteil vom 21.12.2021 - Rs. C-497/20
Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie Art. 1 Abs. 1 und 3 Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die der nationalen Rechtsprechung zufolge bewirkt, dass Einzelne, wie etwa Bieter, die an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilgenommen haben, ein Urteil des obersten Verwaltungsgerichts dieses Mitgliedstaats im Rahmen einer Beschwerde vor dem obersten ordentlichen Gericht dieses Mitgliedstaats nicht mit der Begründung anfechten können, dass dieses Urteil mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.*)
VolltextIBRRS 2022, 0768
LG Leipzig, Urteil vom 03.11.2021 - 5 O 2042/20
1. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Kartellverstoßes setzt voraus, dass dem Auftraggeber ein Schaden entstanden ist.
2. Mangels eines hinreichenden typischen Sachverhalts, aus dem sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf einen kartellbedingten Preiseffekt schließen lässt, ist kein Anscheinsbeweis für einen dem Auftraggeber entstandenen Schaden anzunehmen.
3. Die Feststellung, ob der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist als es ohne Kartellabsprache wäre oder ob diese Kartellabsprache das allgemeine Preisniveau angehoben hat, ist im Einzelfall zu treffen.
4. Alleine aus dem Inhalt eines Bußgeldbescheids der EU-Kommission ergibt sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die gegenständlichen Kartellrechtsverstöße im Rahmen der einzelnen Beschaffungsvorgänge in preisrelevanter Weise auch umgesetzt worden sind.
VolltextIBRRS 2022, 0752
EuG, Urteil vom 26.01.2022 - Rs. T-849/19
1. Die außervertragliche Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV von mehreren Voraussetzungen abhängig ist: Das dem Organ vorgeworfene Verhalten muss rechtswidrig sein, es muss ein Schaden eingetreten sein, und zwischen dem Verhalten und dem behaupteten Schaden muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.
2. Die Klage ist insgesamt abzuweisen ist, ohne dass die übrigen Voraussetzungen dieser Haftung geprüft werden müssen, wenn eine dieser Voraussetzungen nicht vorliegt.
3. Der Kläger muss einen "tatsächlichen und sicheren" Schaden erlitten haben. Er hat Beweise zum Nachweis des Vorliegens und des Umfangs eines solchen Schadens vorzulegen.
VolltextIBRRS 2022, 0733
OLG Schleswig, Beschluss vom 09.12.2021 - 54 Verg 8/21
1. Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist.
2. Die Unwirksamkeit betrifft auch wesentliche Vertragsänderungen bei einem entsprechenden öffentlichen Auftrag. Eine wesentliche Änderung eines öffentlichen Auftrags darf nicht freihändig vorgenommen werden, sondern muss zu einem neuen Vergabeverfahren über den geänderten Auftrag führen.
3. Die Verlängerung von Verträgen mit befristeter Laufzeit ist bei Verträgen, bei denen das Zeitmoment ein wesentliches Element der geschuldeten Leistung ist, bei einer erheblichen Ausweitung des Leistungsvolumens als eine wesentliche Vertragsänderung und damit als neuer Beschaffungsvorgang zu werten.
IBRRS 2022, 0716
VGH Bayern, Beschluss vom 01.02.2022 - 22 C 21.2470
1. Wählt eine Gemeinde für einen Grundstücksverkauf freiwillig den Weg einer öffentlichen Ausschreibung, entsteht zwischen ihr und den Teilnehmern ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis, das sie zu Gleichbehandlung der Teilnehmer, Transparenz und Rücksichtnahme verpflichtet.
2. Das vorvertragliche Rechtsverhältnis dient der Anbahnung eines möglichen Kaufvertragsabschlusses, der sich nach Privatrecht richtet. Das vorvertragliche Rechtsverhältnis ist daher ebenso wie etwaige daraus abzuleitende Pflichten und Rechte grundsätzlich dem bürgerlichen Recht zuzuordnen.
3. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen dann in Betracht, wenn dem "Vergabeverfahren" trotz der per se privatrechtlichen Abwicklung eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende Entscheidungsstufe vorgeschaltet ist oder das Rechtsverhältnis aus anderen Gründen öffentlich-rechtlich überlagert wird.
VolltextIBRRS 2022, 0700
EuGH, Urteil vom 24.02.2022 - Rs. C-532/20
Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Abs. 3 sowie Art. 2c der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25.02.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser , Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Frist, innerhalb deren der Zuschlagsempfänger eines Auftrags einen Antrag auf Nachprüfung einer Entscheidung der Vergabestelle, mit der im Rahmen der Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags das Angebot eines abgelehnten Bieters für zulässig erklärt wurde, stellen kann, in Bezug auf den Zeitpunkt des Eingangs dieser Vergabeentscheidung beim Zuschlagsempfänger berechnet werden kann, auch wenn der Bieter zu diesem Zeitpunkt keinen oder noch keinen Antrag auf Nachprüfung dieser Entscheidung gestellt hatte. Wurde dem Zuschlagsempfänger bei der Mitteilung oder Veröffentlichung dieser Entscheidung eine Zusammenfassung ihrer einschlägigen Gründe - wie die Informationen über die Modalitäten der Bewertung dieses Angebots - nicht gemäß Art. 2c dieser Richtlinie zur Kenntnis gebracht, ist diese Frist hingegen in Bezug auf den Zeitpunkt der Mitteilung einer solchen Zusammenfassung an diesen Zuschlagsempfänger zu berechnen.*)
VolltextIBRRS 2022, 0684
VK Lüneburg, Beschluss vom 19.07.2021 - VgK-24/2021
1. Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn "andere schwer wiegende Gründe" bestehen.
2. Für das Vorliegen eines schwer wiegenden Grunds bedarf es einer umfassenden und alle für die Aufhebungsentscheidung maßgeblichen Umstände berücksichtigenden Interessenabwägung der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall.
3. Der Auftraggeber, der im laufenden Vergabeverfahren, erst recht nach (finaler) Angebotsabgabe das Vergabeverfahren aufhebt, greift in ein vorvertragliches Rechtsverhältnis zwischen ihm und den Anbietern ein. Er ist daher verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
4. Der Auftraggeber hat jeden erwogenen Eingriff darauf zu prüfen, ob er geeignet ist, den Mangel abzustellen. Er hat unter den geeigneten Eingriffen den Eingriff mit der geringsten Eingriffstiefe auszuwählen und er hat darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, ob der nach den obigen Kriterien ausgewählte Eingriff sich angesichts des geltend gemachten Vergabeverstoßes nicht als unverhältnismäßig erweist.
5. Eine Aufhebung ist gerechtfertigt, wenn die Vergabeunterlagen deutlich zu überarbeiten sind und die Zurückversetzung der Aufhebung gleichkommt.
IBRRS 2022, 0660
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.04.2021 - 1 VK 12/21
1. Jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis ist so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird.
2. Ein Bieter, der in seinem Angebot die von ihm tatsächlich geforderten Einheitspreise auf verschiedene Einheitspreise anderer Leistungspositionen verteilt, benennt nicht die von ihm geforderten Preise.
3. 0,00 Euro-Preise fehlen nicht und können daher nicht nachgefordert werden.
IBRRS 2022, 0659
OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2021 - Verg 1/21
1. Ob der Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet, ist vom öffentlichen Auftraggeber durch eine Schätzung zu ermitteln.
2. Die Kostenschätzung ist als ein der eigentlichen Ausschreibung vorgeschalteter Vorgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet; sie kann daher nicht an den gleichen Maßstäben wie das Angebot der Teilnehmer am Ausschreibungsverfahren gemessen werden. Sie ist eine Prognose, die dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde.
3. Methodisch setzt die Schätzung des Auftragswerts zudem eine ernsthafte, realistische, vollständige und objektive Prognose voraus, die sich an den Marktgegebenheiten orientiert. Der Auftraggeber muss eine Methode wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lässt, und der Schätzung zutreffende Daten zu Grunde legen.
4. Pflichtgemäß geschätzt ist ein Auftragswert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der geplanten Beschaffung veranschlagen würde.
5. Ein Unternehmen, das die Möglichkeit hatte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, muss nicht vorab die unterlassene europaweite Bekanntmachung bei einer De-facto-Vergabe rügen.
IBRRS 2022, 0594
OLG Naumburg, Beschluss vom 30.10.2020 - 7 U 47/20
1. Die Erhebung von Kosten der Nachprüfung eines Vergabeverfahrens unterhalb der sog. Schwellenwerte i.S.v. § 106 GWB erfolgt nach § 19 Abs. 5 Satz 1 und 4 LVG-SA nach dem Veranlasserprinzip, wie es auch in § 1 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 VwKostG-SA normiert ist.*)
2. Bleibt die Nachprüfung durch die Vergabekammer erfolglos, so kann die Erhebung von Kosten im Nachprüfungsverfahren nur mit Erfolg angegriffen werden, wenn es an einer Beanstandung eines Teilnehmers des Vergabeverfahrens i.S.v. § 19 Abs. 2 LVG-SA fehlte.*)
3. Die nach § 19 Abs. 3 LVG-SA eingerichtete (3.) Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt ist auch zur Nachprüfung von vermeintlichen Vergaberechtsverstößen ermächtigt, die sich nicht aus einer Vorabinformation nach § 19 Abs. 1 LVG-SA ergeben, und insbesondere zur Nachprüfung der Wirksamkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer Aufhebung der Ausschreibung.*)
4. Auch wenn das Nachprüfungsverfahren des § 19 Abs. 2 LVG-SA dem Primärrechtsschutz des Auftragsinteressenten dient, der durch einen Vergaberechtsverstoß des öffentlichen Auftraggebers in seinen Zuschlagschancen beeinträchtigt wird, ist es seiner rechtlichen Ausgestaltung nach ein spezifisches Verfahren der Rechtsaufsicht.*)
VolltextIBRRS 2022, 0593
VK Nordbayern, Beschluss vom 21.12.2021 - RMF-SG21-3194-6-42
1. Weicht die Ausführungsvariante eines Bieters von den Vorgaben des Amtsentwurfs ab, ist dies als Hauptangebot unzulässig. Das Angebot ist wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2019 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2019 auszuschließen.*)
2. Das Verbot von Änderungen an den Verdingungsunterlagen trägt dem Umstand Rechnung, dass ein echter fairer Wettbewerb nach Angeboten verlangt, die vergleichbar sind. Dies ist nur dann sichergestellt, wenn die Angebote den ausgeschriebenen Leistungen und den sonstigen Bedingungen entsprechen, die der Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen bestimmt hat, und zu denen er den Vertrag abschließen möchte.*)
3. Zur Ermittlung, ob eine Änderung an den Vergabeunterlagen vorliegt, muss der Inhalt der Vergabeunterlagen bestimmt werden, der mit dem Inhalt des Angebots verglichen wird. Der Inhalt der Vergabeunterlagen ist aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen.*)
4. Ein Angebot kann als Nebenangebot nicht gewertet werden, wenn es die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 13 EU Abs. 3 Satz 2 VOB/A 2019 müssen Nebenangebote auf besonderer Anlage erstellt und als solche deutlich gekennzeichnet werden. Nach § 16 EU Nr. 7 VOB/A 2019 sind Nebenangebote auszuschließen, die dem § 13 EU Abs. 3 Satz 2 VOB/A 2019 nicht entsprechen.*)
5. Die Gleichwertigkeit muss mit dem Nebenangebot nachgewiesen werden. Der Bieter hat hierzu die in Nebenangeboten enthaltenen Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben. Soweit der Bieter eine Leistung anbietet, deren Ausführung nicht in den Verdingungsunterlagen geregelt ist, hat er im Angebot entsprechende Angaben über die Ausführung dieser Leistung zu machen.*)
IBRRS 2022, 0589
VK Nordbayern, Beschluss vom 22.10.2021 - RMF-SG21-3194-6-23
1. Dokumentierte sachfremde Erwägungen eines Jurors betreffend die Präsentation eines Bieters stellen eine fehlerhafte Wertung der Präsentation dar und nicht nur eine unzureichende Dokumentation des Wertungsvorgangs.*)
2. Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist das Vorliegen eines besonderen Feststellungsinteresses. Das notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen.*)
IBRRS 2022, 0578
VK Berlin, Beschluss vom 09.06.2021 - VK B 1-12/20
1. Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn die Bieter sie ohne große Auslegungsbemühungen verstehen können. Die Vergabeunterlagen müssen so gefasst sein, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter diese bei Anwendung der üblichen Sorgfalt in gleicher Weise auslegen können.
2. Die Leistung muss derart erschöpfend beschrieben sein, dass sie alle preisrelevanten Faktoren beinhaltet, mithin Art und Zweck der Leistung, die erforderlichen Teilleistungen, Funktions- und Leistungsanforderungen sowie die Bedingungen, Umstände und sonstigen Anforderungen.
3. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Leistungsbeschreibung so auszugestalten, dass eine vernünftige Kalkulation und die Abgabe vergleichbarer Angebote ermöglicht werden. Eine Grenze bildet insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und findet sich im Mach- und Zumutbaren.
4. Auch wenn die vergaberechtlichen Regelungen nicht mehr das Verbot der Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses beinhalten, muss die Leistungsbeschreibung dem Bieter gleichwohl eine vernünftige kaufmännische Kalkulation ermöglichen.
5. Vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist es, wenn der Auftraggeber den Bietern die Beschaffung von Informationen überlässt, sofern sich Bieter mit geringem Aufwand fehlende Daten selbst beschaffen können und die Vergleichbarkeit der Angebote bei einer solchen Vorgehensweise nicht gefährdet ist.
6. Eine Aufhebung aus anderen schwerwiegenden Gründen ist nur rechtmäßig, sofern nachträgliche, nicht vorhersehbare oder anfängliche, bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht erkennbare Umstände vorliegen.
7. Dokumentationsmängel stellen keine schwerwiegenden, zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigenden Gründe dar. Wenn der Auftraggeber die Aufhebung des Vergabeverfahrens selbst schuldhaft herbeiführt, liegt eine rechtswidrige Aufhebung vor.
IBRRS 2022, 0550
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.12.2021 - Verg 54/20
1. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen.
2. Eine Differenzierung nach Herkunftsstaaten, bei denen Bieter, die in bestimmten Herkunftsstaaten produzieren, einen Wirtschaftlichkeitsbonus erhalten, der anderen Bietern allein wegen ihrer Fertigung in einem nicht privilegierten Staat vorenthalten wird, begegnet grundlegenden Bedenken, weil diese Bieter nicht den gleichen Bedingungen unterworfen sind.
3. Eine Ungleichbehandlung allein wegen des Herkunftsstaates gestatten - von einigen Ausnahmen abgesehen - weder das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen noch die für dessen Auslegung relevanten europäischen Richtlinien.