Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
10834 Entscheidungen insgesamt
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IBRRS 2015, 2763OLG Rostock, Beschluss vom 02.10.2015 - 2 W 10/14
Zum Ausschluss von Bietern im Vergabeverfahren im Falle rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplanes und Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 Abs. 1 InsO.*)
IBRRS 2015, 2762
VK Nordbayern, Beschluss vom 03.09.2015 - 21.VK-3194-26/15
1. Auf ein Angebot, welches den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses nicht in allen Punkten entspricht, darf der Zuschlag nicht erteilt werden, denn es fehlt an den für einen Vertragsschluss erforderlichen sich deckenden und sich entsprechenden Willenserklärungen. Ob dieser zwingende Ausschlussgrund unter den Ausschlussgrund des § 16 EG Abs. 1 Nr. 1b i.V.m. § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2012 in Form der unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen oder unter einen nicht ausdrücklich in der VOB/A erwähnten zwingenden Ausschlussgrund subsumiert wird, ist zwar in der Rechtsprechung umstritten, kann im Falle eines offenen Abweichens vom Leistungsverzeichnis aber dahinstehen, da die Rechtsfolge in beiden Fällen gleich ist.*)
2. Ist der Wortlaut eines Leistungsverzeichnisses nicht eindeutig, ist im Rahmen der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (BGB §§ 133, 157) eine Auslegung des Ausschreibungstextes durchzuführen.*)
3. Ein Ausschlussgrund liegt nur dann vor, wenn die Bieter eindeutig erkennen können, auf welche Eigenschaften es der Vergabestelle ankommt. Im Zweifel gehen Ungenauigkeiten im Leistungsverzeichnis nicht zu Lasten des Bieters und können nicht zu einem Ausschluss eines Angebots führen.*)
VolltextIBRRS 2015, 2742
VK Köln, Beschluss vom 24.09.2015 - VK VOB 10/2015
1. Auch für Vergabeverstöße, die erst während eines Nachprüfungsverfahrens erkannt werden, besteht grundsätzlich eine Rügeobliegenheit.
2. Eine solche Rüge muss nicht gegenüber der Vergabestelle erfolgen; sie ist aber unmittelbar und unverzüglich in das Nachprüfungsverfahren einzubringen.
3. Einem Rügeschreiben muss eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung zu entnehmen sein sowie die Mitteilung, welchen Sachverhalt der Rügende für vergaberechtswidrig hält und, dass die Beseitigung eines Vergaberechtsfehlers verlangt wird.
4. Eine bloße Bitte um nähere Information kann unter keinem Gesichtspunkt als Vergaberechtsrüge gewertet werden.
VolltextVK Bund, Beschluss vom 05.05.2015 - VK 1-26/15
1. Änderungen oder Ergänzungen der Vertragsunterlagen in einem Angebot führen zwingend zum Ausschluss des Angebots; ein Ermessen steht dem Auftraggeber insofern nicht zu.
2. Zu den Vertragsunterlagen zählen insbesondere die Bestimmungen der Leistungsbeschreibung.
3. Sind die Vorgaben der Ausschreibung allerdings objektiv nicht erfüllbar und damit für die Bieter unzumutbar, dürfen Angebote, die diese Bedingungen nicht einhalten, nicht ausgeschlossen werden.
VolltextIBRRS 2015, 2723
VK Bund, Beschluss vom 07.07.2015 - VK 2-49/15
Erteilt der Auftraggeber den Zuschlag vor dem von ihm im Informationsschreiben angegebenen „frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses“, ist der Vertrag von Anfang an unwirksam.
IBRRS 2015, 3364
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11.08.2015 - 3 VK 2/15
1. Eine Rüge ist gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB dann entbehrlich, wenn eine Direktvergabe erfolgt ist.
2. Eine Rüge ist jedoch nicht entbehrlich, wenn nur angekündigt wird, dass eine Direktvergabe beabsichtigt ist.
3. Bei einer Vorinformation ist die Erhebung einer Rüge zwingend zu fordern, um der Vergabestelle Gelegenheit zur Abhilfe zu geben und dadurch unnötige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.
VolltextIBRRS 2015, 2724
VK Bund, Beschluss vom 05.02.2015 - VK 1-120/14
Ergibt sich aus dem Erklärungsgehalt und den konkreten Umständen, dass dem Bieter im Auftragsfall die erforderlichen Produktionskapazitäten von einem Drittunternehmen zur Verfügung gestellt werden, ist der geforderte Eignungsnachweis erbracht. Das gilt auch dann, wenn die Verpflichtungserklärung gegenüber dem Bieter und nicht gegenüber dem Auftraggeber abgegeben wurde.
VolltextIBRRS 2015, 2712
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.09.2015 - VK 1-19/15
1. Die Regelung in § 16 EG Abs.1 Nr. 3 VOB/A 2012, wonach fehlende Erklärungen nachzufordern sind, ist nur auf Nachweise und Erklärungen anwendbar, die innerhalb der Angebotsfrist vorzulegen sind.
2. Nachweise und Erklärungen, die erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle einzureichen sind, fallen nicht in den Anwendungsbereich.
IBRRS 2015, 2729
EuGH, Urteil vom 06.10.2015 - Rs. C-61/14
1. Art. 1 Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, wonach bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs im Bereich öffentlicher Aufträge bei den Verwaltungsgerichten Gerichtsgebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einheitsgebühr zu entrichten sind.*)
2. Art. 1 Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität stehen weder der mehrmaligen Erhebung von Gerichtsgebühren bei einem Einzelnen, der im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags mehrere gerichtliche Rechtsbehelfe einlegt, noch der Verpflichtung dieses Einzelnen entgegen, zusätzliche Gerichtsgebühren zu entrichten, um im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags in einem laufenden Gerichtsverfahren ergänzende Gründe vorbringen zu können. Jedoch ist es im Fall der Beanstandung durch eine betroffene Partei Sache des nationalen Richters, den Gegenstand der von einem Einzelnen eingelegten Rechtsbehelfe oder der im Rahmen desselben Verfahrens von ihm vorgetragenen Gründe zu prüfen. Stellt der nationale Richter fest, dass der Gegenstand tatsächlich kein anderer oder keine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands ist, hat er diesen Einzelnen von der Verpflichtung zur Entrichtung kumulativer Gerichtsgebühren freizustellen.*)
VolltextIBRRS 2015, 2719
VK Lüneburg, Beschluss vom 24.08.2015 - VgK-28/2015
1. Hersteller- und Typenbezeichnungen sind Kernbestandteil des Angebots und dürfen daher nicht nachgefordert werden.
2. Die Abgabe mehrerer Hauptangebote ist grundsätzlich zulässig, wenn diese sich in technischer Hinsicht unterscheiden.
3. Wenn ein Bieter mehrere technisch identische Hauptangebote eingereicht hat, scheidet eine Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise aufgrund der ansonsten möglichen Wettbewerbsbeeinflussung aus.
IBRRS 2015, 2716
VK Bremen, Beschluss vom 26.05.2015 - 16 VK 3/15
1. Nachunternehmer und Lieferanten haben im Nachprüfungsverfahren keine eigene Antragsbefugnis.
2. Das Verhandlungsverfahren kennt kein Nachverhandlungsverbot.
VolltextIBRRS 2015, 2661
VK Bund, Beschluss vom 14.07.2015 - VK 2-57/15
1. Wenn Angebote durch einen ungewöhnlich niedrigen Preis auf eine Marktverdrängung abzielen oder der Auftragnehmer aufgrund seiner unauskömmlichen Preisgestaltung bei der Ausführung des Auftrags voraussichtlich in so große wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wird, dass er die Ausführung abbrechen muss, ist der Auftraggeber - auch zugunsten der anderen Bieter - gehalten, ein derartiges Angebot aufzuklären.
2. Der Auftraggeber kann auch ein Unterkostenangebot bezuschlagen, wenn keine Marktverdrängung vorliegt und kein Ausfall des Auftragnehmers droht. Insofern trifft den Auftraggeber aber jedenfalls eine (drittschützende) Prüfungspflicht.
3. Zur Frage, ob ein Bieter, dem im Rahmen eines 3-Partner-Modells ein "nachrangiger Zuschlag" erteilt wurde, ein "betroffener Bieter" im Sinne des § 101a GWB ist.
VolltextIBRRS 2015, 2687
VK Lüneburg, Beschluss vom 23.07.2015 - VgK-15/2015
1. Ein Bieter kann die Aufhebung der Aufhebungsentscheidung und anschließende Fortsetzung des Verfahrens nicht allein deshalb beanspruchen, weil ein sachlicher Grund für die Aufhebung fehlt.
2. Die Aufhebung der Aufhebung kommt nur dann in Betracht, wenn die Aufhebung einen Fall einer rechtsmissbräuchlichen Verfahrenslenkung darstellt oder ein Verstoß gegen die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit vorliegt, dessen Intensität mit dem Fall einer rechtsmissbräuchlichen Verfahrenslenkung vergleichbar ist.
VolltextIBRRS 2015, 2679
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.04.2015 - 15 Verg 2/15
1. Zieht ein Auftraggeber Aspekte für die Begründung der Eignung der Bieter heran, die gegebenenfalls nur eine eingeschränkte Aussagekraft für eine vergleichbare Referenzleistung aufweisen, müssen im Vergabevermerk besondere Feststellungen getroffen werden.
2. Gemäß § 16 Abs. 7 VOL/A bzw. § 19 Abs. 8 EG VOL/A berücksichtigt der Auftraggeber bei der Wertung der Angebote die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen benannten Kriterien und gewichtet sie entsprechend der Bekanntmachung. Hält ein Auftraggeber sich nicht an ein bekannt gemachtes Punktesystem, ist die Bewertung vergaberechtswidrig.
3. Sieht ein Auftraggeber sog. "objektive Kriterien", die keine Zuschlagskriterien darstellen, für die Angebotswertung vor, müssen diese ebenfalls zwingend Berücksichtigung finden und deren Anwendung entsprechend dokumentiert werden.
VolltextIBRRS 2015, 2628
OLG München, Urteil vom 21.07.2015 - 9 U 1676/13 Bau
1. § 20 Abs. 3 VOF stellt eine eigene Anspruchsgrundlage als auch eine vergaberechtliche Verfahrensvorschrift dar.
2. Die Forderung einer "Ideenskizze, gerne auch Handskizze" ist kein Verlangen nach einem ausgearbeiteten Lösungsvorschlag.
3. Ein Lösungsvorschlag im Sinne von § 20 Abs. 3 VOF muss vom Auftraggeber ausdrücklich verlangt werden, damit Honoraransprüche ausgelöst werden.
4. Um Honoraransprüche auszulösen, muss ein gesamtplanerisches Konzept gefordert werden.
IBRRS 2015, 2664
VK Nordbayern, Beschluss vom 07.07.2015 - 21.VK-3194-21/15
Werden zu verlesende Angaben nicht oder unrichtig verlesen, so stellt dies zwar einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 14 EG Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 VOB/A 2012 dar; dies führt jedoch nicht zu einem Ausschluss der Prüf- und Wertungsfähigkeit, da es sich bei § 14 EG Abs. 3 Nr. 2 VOB/A 2012 lediglich um eine Formvorschrift handelt.*)
VolltextIBRRS 2015, 2675
VG Köln, Beschluss vom 03.09.2015 - 16 K 3369/14
1. Die zum Bestandteil eines Zuwendungsbescheids gemachten und diesem beigefügten ANBest-P (dort Ziff. 3.1) sind als Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu qualifizieren.*)
2. Ist eine Auflage in einer die Schwelle von § 44 Abs. 1 VwVfG überschreitenden Weise unbestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG, ist unerheblich, dass die Auflage zunächst zusammen mit dem Zuwendungsbescheid bestandskräftig geworden ist.*)
3. Ob ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt ist, ist durch Auslegung entsprechend der zu den §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln zu ermitteln.*)
4. Es kommt bei der Auslegung maßgeblich darauf an, wie der Betroffene selbst nach allen ihm bekannten Umständen in einer verobjektivierten Weise den materiellen Gehalt des Bescheids unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste.*)
5. Bei der Auslegung sind sowohl die subjektiven Vorstellungen des Adressaten als auch der erlassenden Behörde unerheblich. Maßgebend ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte.*)
6. Inhaltlich hinreichend bestimmt ist eine Auflage nur dann, wenn nach diesen Maßgaben die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass der Adressat sein Verhalten danach richten kann. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umstände unzweifelhaft erkennen lässt.*)
7. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit einer Auflage nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts.*)
8. Durch die zuwendungsrechtliche Nebenbestimmung in Ziff. 3 ANBest-P gelten im Zuwendungsrechtsverhältnis die Bestimmungen der VOL und VOB konstitutiv in ihrer Gesamtheit ohne weitere Einschränkungen.*)
9. Nach der Nebenbestimmung in Ziff. 3 ANBest-P unterfallen Aufträge zu freiberuflichen Leistungen unterhalb der einschlägigen Schwellenwerte nicht dem Anwendungsbereich der VOL/A.*)
10. Ein Austausch der den Bescheid tragenden Rechtsgrundlage sowie die Ergänzung von diesbezüglichen Ermessenserwägungen kommen nur in Betracht, wenn der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Wesen verändert wird.*)
IBRRS 2015, 2639
VK Bund, Beschluss vom 08.07.2015 - VK 2-53/15
1. Um die Umgehung einer aufgestellten Loslimitierung zu verhindern, ist der Auftraggeber gehalten, geeignete Vorkehrungen gegen Verstöße gegen den Geheimwettbewerb zu treffen. Dabei ist ihm ein Spielraum zuzubilligen, welche Maßnahmen er im Einzelnen trifft.
2. Die Vorgabe, "Verflechtungen" mit anderen Unternehmen offenzulegen, ist ein angemessenes Mittel zur Sicherstellung des Geheimwettbewerbs, da sich diese Thematik insbesondere bei verbundenen Unternehmen in besonderer Weise stellt.
3. Der Begriff der "Verflechtung" ist weder unbestimmt noch intransparent.
VolltextIBRRS 2015, 2673
KG, Beschluss vom 07.08.2015 - Verg 2/15
Nach Abgabe einer beiderseitigen Erledigungserklärung im Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB hat der Antragsgegner die Kosten zu tragen, wenn der Nachprüfungsantrag erfolgreich war.
VolltextIBRRS 2015, 2631
KG, Beschluss vom 07.08.2015 - Verg 1/15
1. § 5 EG Abs. 1 VOB/A 2012, wonach Bauleistungen so vergeben werden, dass eine einheitliche Ausführung und zweifelsfreie umfassende Haftung für Mängelansprüche erreicht wird, so dass sie in der Regel mit den zur Leistung gehörenden Lieferungen vergeben werden sollen, ist keine bieterschützende Vorschrift im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB.*)
2. Die nach pflichtgemäßem Ermessen auszuübende Befugnis des Auftraggebers nach § 15 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2012 von einem Bieter Aufklärung zu verlangen, um sich unter anderem über seine Eignung und das Angebot selbst zu unterrichten, kann sich zu einer Aufklärungspflicht verdichten, wenn dem Bieter in einer formularmäßigen Erklärung offensichtlich ein Eintragungsfehler unterlaufen ist (hier: offensichtlich unrichtig ausgefüllte formularmäßige Frauenfördererklärung nach der Anlage zu § 1 Abs. 2 der Frauenförderverordnung Berlin - FFV). Ein Ausschluss wegen derartiger offensichtlicher Eintragungsfehler (hier: nach § 5 Abs. 1 FFV) ist erst dann zulässig, wenn der Bieter den Fehler nach einem ordnungsgemäßen, insbesondere unmissverständlichen Hinweis in einer angemessenen Nachfrist nicht ausräumt. *)
IBRRS 2015, 2658
Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 09.09.2015 - Rs. C-115/14
1. Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass er der Regelung einer regionalen Einheit eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach Bietern und deren Nachunternehmern vorgeschrieben wird, sich mit einer schriftlichen, ihrem Angebot beizufügenden Erklärung zu verpflichten, ihren Beschäftigten, die für die Ausführung der Leistungen, die Gegenstand eines öffentlichen Auftrags sind, eingesetzt werden sollen, einen in der betreffenden Regelung festgelegten Mindeststundenlohn von 8,70 Euro (brutto) zu zahlen.*)
2. Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass er auch einer Regelung einer regionalen Einheit eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die den zwingenden Ausschluss eines Angebots in dem Fall vorsieht, dass sich ein Bieter im Rahmen eines öffentlichen Auftrags nicht für sich selbst und für seine Nachunternehmer in einer gesonderten Erklärung zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bzw. nach erneuter Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, den in dieser Regelung festgelegten Mindestlohnsatz für den Fall einzuhalten, dass er mit der Ausführung der Leistungen des fraglichen öffentlichen Auftrags beauftragt wird.*)
IBRRS 2015, 2656
OLG München, Beschluss vom 17.09.2015 - Verg 3/15
1. Bei einem freihändigen Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach den Bestimmungen der VOL/A 2009 ist die Eignungsprüfung abschließend in der ersten Stufe durchzuführen. Die Rechte der weiteren Bieter werden verletzt, wenn ein Teilnehmer, obgleich die Eignung zu verneinen gewesen wäre, dennoch zur Angebotsabgabe aufgefordert wird.*)
2. Nach Abschluss des vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs muss in die Eignungsprüfungen eines Bieters wieder eingetreten werden, wenn die Eignung in dem Teilnahmewettbewerb vergaberechtswidrig bejaht wurde, die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss nicht vorliegen und eine weitere Prüfung, bei der der Vergabestelle ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, erforderlich ist.*)
3. Die Vergabestelle muss vor dem Ausschluss eines Bieters wegen fehlender Eignung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens prüfen, ob sie von der Möglichkeit nach § 15 VOL/A 2009 Gebrauch macht, die Bieterin zur Erläuterung zum Beleg der Eignung vorgelegter Unterlagen aufzufordern.*)
4. Eine Berücksichtigung von nach Abgabetermin des Teilnahmeantrags eingereichter Unterlagen, deren Beachtung nicht von § 15 oder § 16 Abs. 2 VOL/A 2009 gedeckt ist, scheidet aus.*)
5. Unterlagen, die der Bieter mit dem Teilnahmeantrag einreichen und sich auch beschaffen hätte können, bzw. deren Beschaffung in seine Verantwortungssphäre fällt, stellen grundsätzlich keine neuen Tatsachen dar.*)
6. Die Begründung einer Wertung, bei der der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zukommt, muss zumindest so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar ist und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabestelle den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum eingehalten hat.*)
VolltextIBRRS 2015, 2549
VK Sachsen, Beschluss vom 27.04.2015 - 1/SVK/012-15
1. Ein Bieter kann sich auch gegen eine unmittelbar bevorstehende Vergabe mit dem Vorwurf der vergaberechtswidrigen de-facto-Vergabe wehren. Er muss insoweit nicht abwarten, bis der Vertrag geschlossen wird. Voraussetzung ist aber, dass der Auftraggeber schon hinreichend konkret den Abschluss des Vertrags plant und entsprechende organisatorische oder planerische Schritten zur Durchführung des Beschaffungsvorganges begonnen hat. Rein präventiver Rechtsschutz gegen lediglich vorbereitende Handlungen ist dagegen nicht statthaft.*)
2. Auch wenn ein Bieter in einem Vergabeverfahren, an dem er beteiligt war, eine Öffnungsklausel ungerügt gelassen hat, kann er sich ggf. gegen eine später beabsichtigte Vertragserweiterung wenden. Für einen durchschnittlichen Bieter ist nicht zwingend erkennbar, dass eine unbestimmte Öffnungsklausel zur Unzulässigkeit einer darauf gestützten Vertragserweiterung führen kann.*)
3. Eine zu unbestimmte vertragliche Anpassungsklausel kann eine wesentliche Änderung im Rahmen der Vertragsdurchführung nicht rechtfertigen. Nur wenn aus der Klausel selbst die Anpassungsmöglichkeiten des Auftraggebers hinreichend klar hervorgehen, ist die Transparenz bereits bei der Vergabe des Erstauftrags gewährleistet.*)
IBRRS 2015, 3355
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.2015 - Verg 1/15
1. Ob die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters im Verfahren vor der Vergabekammer durch den öffentlichen Auftraggeber notwendig ist, kann nicht schematisch, sondern stets nur auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls entschieden werden.
2. Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln konzentriert. Ist das der Fall, besteht im Allgemeinen für einen öffentlichen Auftraggeber keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten.
3. Da die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags durch die Nachprüfungsinstanzen stets von Amts wegen zu prüfen ist, bedarf es mit Blick auf eine etwaige Verletzung der Rügeobliegenheit keiner vertieften Rechtskenntnisse, die anwaltlicher Beratung erfordert.
4. Bei Rechtsfragen der Eignung handelt es sich um auftragsbezogene Sachfragen, die ein öffentlicher Auftraggeber in aller Regel selber prüfen und im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vertreten kann.
VolltextIBRRS 2015, 2552
VK Sachsen, Beschluss vom 12.06.2015 - 1/SVK/016-15
1. Enthalten Vergabebekanntmachung und Verdingungsunterlagen für das Bewertungskriterium Preis lediglich die Angabe, dass dieser mit 50% in die Wertung mit einfließen wird, ohne offenzulegen, wie die einzelnen Angebotspreise zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden sollen, stellt dies einen schwerwiegenden Vergaberechtsfehler dar, da so offenbleibt, welche Preisumrechnungsformel die Auftraggeberin wählen würde.*)
2. Ein Bieter muss sich nicht darauf einstellen oder gar verlassen, dass ein Auftraggeber als Umrechnungsformel für den Preis eine Standardumrechnungsformel aus einschlägigen Vergabehandbüchern verwenden werde, oder aber dass sich die Minderung der Punktzahl für die nächst teureren Angebote zwingend im Dreisatz-Rechenwege aus dem prozentualen Preisabstand zum günstigsten Bieter ableitet.*)
3. Inwieweit eine Verpflichtung des Auftraggebers besteht, Unterkriterien auszudifferenzieren, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Grenze, ab der das Offenlassen konkreter Bewertungsmaßstäbe vergaberechtlich unzulässig ist, ist jedenfalls überschritten, wenn die aufgestellten Bewertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, anhand derer das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird, und sie infolgedessen auch vor einer willkürlichen oder diskriminierenden Wertung nicht mehr effektiv geschützt sind.*)
VolltextIBRRS 2015, 2602
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.06.2015 - 3 VK LSA 44/15
Verlangt der Auftraggeber von den Bietern eine anzukreuzende Erklärung zur Tariftreue und Entgeltgleichheit und hat ein Bieter die Erklärung dem Angebot beigefügt, aber nicht vollständig ausgefüllt, liegt die geforderte Erklärung zwar körperlich vor, wurde jedoch unvollständig eingereicht. Eine Nachforderung dieser Erklärung ist nicht zulässig.
VolltextIBRRS 2015, 2545
VK Sachsen, Beschluss vom 26.05.2015 - 1/SVK/015-15
1. Liegt ein preislicher Abstand des preislich Erstplatzierten zum nächsthöheren Angebot von mehr als 20 % vor, so ist eine Prüfung der Angemessenheit der Preise durch den Auftraggeber veranlasst.*)
2. Der Auftraggeber hat bei der Prognose, ob ein Anbieter trotz eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Preises auch zu diesem Preis zuverlässig und vertragsgerecht wird leisten können, einen Beurteilungsspielraum. Dieser ist durch die Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar.*)
3. Es ist in erster Linie die Obliegenheit des Bieters, die Auskömmlichkeit seines Angebotes darzulegen oder die Gründe zu benennen, aufgrund derer die Leistung ordnungsgemäß erbracht werden kann oder er gegebenenfalls unterpreisig angeboten hat.*)
VolltextIBRRS 2015, 2597
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2014 - Verg 33/13
Der Auftraggeber kann als Nachweis der Eignung von Bietern eine Eigenerklärung verlangen, in der der Bieter erklärt, gesetzestreu zu handeln und die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten.
VolltextIBRRS 2015, 2544
VK Sachsen, Beschluss vom 19.06.2015 - 1/SVK/009-15
1. Ein Vertrag über die Anmietung eines nach den Erfordernissen des öffentlichen Auftraggebers noch zu errichtenden oder umzubauenden Gebäudes kann sich im Ergebnis insgesamt als Bauauftrag darstellen, wenn der Mietvertrag mit den Bauleistungen "steht und fällt" und ohne diese nicht realisiert würde.*)
2. Der Ablauf einer Bindefrist führt nicht dazu, dass in dem betreffenden Vergabeverfahren ein Zuschlag nicht mehr erteilt werden könnte. Vielmehr hat das Verstreichen der Frist lediglich zur Folge, dass der Bieter, der den Zuschlag erhalten soll, darüber zu befinden hat, ob er seinerseits den dann als Angebot der Vergabestelle zu wertenden Zuschlag annehmen will.*)
3. Ein isolierter Antrag mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Aufhebung ist analog § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB i. V. m. § 123 Satz 3, 4 GWB möglich und zulässig.*)
4. Ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung des positiven Interesses oder - zur Vermeidung eines entsprechenden Schadenseintritts - ein Anspruch auf Weiterführung des Vergabeverfahrens, kann dann in Betracht kommen, wenn der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, ein Vergabeverfahren aufzuheben, in rechtlich zu missbilligender Weise dazu einsetzt, die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter oder unter anderen Voraussetzungen bzw. in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können.*)
5. Der Aufhebungsgrund, dass kein wirtschaftliches Angebot eingegangen ist, ist zwar in § 17 EG VOB/A nicht explizit benannt, ist aber vom Auffangtatbestand des § 17 Abs. 1 Nr. 3 EG VOB/A als schwerwiegender Grund mit erfasst.*)
6. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens steht nach § 17 EG Abs. 1 VOB/A im Ermessen des Auftraggebers. Anders als in der VOL/A ist jedoch in der VOB/A keine ausdrückliche Teilaufhebung vorgesehen. Eine Teilaufhebung wird allenfalls bei einer Ausschreibung mit mehreren Teillosen in Betracht kommen, bei der bspw. bezogen auf eines von mehreren Losen, eine Teilaufhebung als milderes Mittel im Verhältnis zur Gesamtaufhebung in Betracht kommen kann. Ein milderes Mittel der (Gesamt-) Aufhebung in Form der "Abmagerung" des Leistungsumfanges existiert nicht.*)
IBRRS 2015, 2550
VK Sachsen, Beschluss vom 19.05.2015 - 1/SVK/014-15
1. Aus § 9 EG Abs. 1 Satz 2 b VOL/A 2009 ergibt sich, dass die Zuschlagskriterien (und deren Gewichtung) nur dann in den Vergabeunterlagen anzugeben sind, "sofern" sie nicht schon in der Bekanntmachung genannt wurden. Sind die Zuschlagskriterien schon in der Bekanntmachung genannt, können diese innerhalb der Vergabeunterlagen selbst dann nicht mehr grundlegend geändert werden, wenn der Auftraggeber durch eine abweichende Angabe in den Vergabeunterlagen Fehler korrigieren möchte, die bei der Formulierung der Bekanntmachung unterlaufen sind. In einem solchen Fall kann der Auftraggeber die Bindung an die in der Bekanntmachung gemachten Angaben nur durch eine entsprechende Berichtigung der Bekanntmachung beseitigen.*)
2. Mindestkriterien sind im Leistungsverzeichnis so eindeutig zu fassen, dass es für jeden Bieter unmissverständlich ist, was in Abgrenzung zu den Zuschlagskriterien für Anforderungen an die Leistung des Beschaffungsgegenstands zu stellen sind.*)
VolltextIBRRS 2015, 2575
OLG Schleswig, Beschluss vom 30.04.2015 - 1 Verg 7/14
1. Die Leistungsbeschreibung genügt den Anforderungen nach § 8 EG Abs. 1 VOL/A 2009, wenn der öffentliche Auftraggeber die jeweils gewünschten Leistungsmittel bzw. -merkmale dort so bestimmt, dass die angesprochenen fachkundigen Bieter dies im gleichen Sinne verstehen und insbesondere die für die Angebotserstellung wesentlichen Beschaffungsziele erkennen können.*)
2. Soweit eine Leistungsbeschreibung wettbewerbsrelevante Auslegungsfragen aufwirft, sind diese gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont zu klären, also aus der Sicht eines potentiellen Bieters. Allein der subjektive "Horizont" einzelner Bieter belegt weder eine Unklarheit der Leistungsbeschreibung noch eine (genau) deren Textverständnis entsprechende Vergabeanforderung.*)
3. Von der im allgemeinen Prozessrecht geltenden Regel, nicht über den Umfang des Antrags hinauszugehen, können im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren Ausnahmen zulässig sein, weil das Beschwerdegericht nicht strikt an den Beschwerdeantrag gebunden ist. Eine vom Antrag losgelöste und über dessen Wortlaut hinausgehende Sachentscheidung kann aber nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Es ist nicht Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen, an Stelle der Vergabestelle eine abschließende Vergabeentscheidung zu treffen, es sei denn, dass nach Prüfung der Eignungs- und Leistungsanforderungen und der darauf beruhenden Angebotswertung eindeutig nur eine einzige Vergabeentscheidung in Betracht kommt.*)
VolltextVK Nordbayern, Beschluss vom 06.08.2015 - 21.VK-3194-16/15
1. Der Auftraggeber muss für die Angebotswertung kein bis in letzte Unterkriterien und deren Gewichtung gestaffeltes Wertungssystem aufstellen, das im Übrigen dann auch Gefahr liefe, endlos unpraktikabel zu werden. Der Auftraggeber hat auf der letzten Ebene der Angebotswertung einen Wertungsspielraum. Dieser darf nicht dadurch eingeschränkt werden, dass er vergaberechtlich in jedem Fall daran gebunden wird, im Voraus in mehrstufige Unterkriterien und entsprechende Gewichtungen aufgegliederte Bewertungsregeln aufzustellen bzw. diese bekannt zu geben.*)
2. Die Vergabekammer ersetzt nicht die Wertung der VSt durch ihre eigene. Vielmehr hat die Vergabekammer die Wertung der VSt lediglich auf eine Verletzung des Beurteilungsspielraumes hin zu überprüfen.*)
VolltextVPRRS 2015, 0428
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.07.2015 - Verg 13/15
1. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen und auszuschreiben.
2. Auf Wettbewerb darf nur verzichtet oder dieser darf nur eingeengt werden, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist. Das gilt auch für die vertragsärztliche Versorgung mit Arzneimitteln des Sprechstundenbedarfs. Stehen derartige Arzneimittel im Wettbewerb, ist ihre Beschaffung öffentlich auszuschreiben.
3. Die Leistung ist eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, so dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen müssen und miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind. Das ist der Fall, wenn die Leistungsbeschreibung Art und Umfang der geforderten Leistung mit allen dafür maßgebenden Bedingungen zur Ermittlung des Leistungsumfangs zweifelsfrei erkennen lässt, keine Widersprüche enthält und alle für die Leistung spezifischen Bedingungen und Anforderungen benennt.
4. Erschöpfend bedeutet, dass keine Restbereiche verbleiben dürfen, die seitens des Auftraggebers nicht klar umrissen sind. Der erschöpfende Charakter kann sich dabei aus der Eindeutigkeit der Beschreibung ergeben.
VolltextIBRRS 2015, 2564
LG Frankfurt/Oder, Urteil vom 20.08.2015 - 31 O 16/15
Wird ein Angebot nach Ablauf der durch die VOB/A maximal vorgesehenen Bindefrist, aber innerhalb einer insoweit ohne Rechtsgrund in den Vergabeunterlagen festgelegten und durch den Bieter unterschriebenen überlangen Bindefrist - hier 84 Tage - "bezuschlagt", kommt hierdurch kein Vertrag zu Stande.
VolltextIBRRS 2015, 2548
VK Sachsen, Beschluss vom 21.04.2015 - 1/SVK/010-15
1. Ein Vergaberechtsverstoß ist erkennbar im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3, wenn er von einem durchschnittlichen Bieter als potenziell vergaberechtswidrig eingestuft werden kann. Dies liegt nicht erst dann vor, wenn der Bieter eine Vorgabe des Auftraggebers in rechtlicher Hinsicht als zweifelsfrei unzulässig einstufen kann. Auf der anderen Seite reichen bloße Zweifel an der Zulässigkeit nicht aus. Erforderlich und ausreichend ist daher ein Zustand, nach dem eine Vorgabe des Auftraggebers zumindest als rechtlich problematisch eingestuft werden kann. *)
2. Wird eine Vorgabe in den Vergabeunterlagen erst auf Anregung eines Bieters eingefügt, die es ihm überhaupt erst ermöglicht, sich an dem Verfahren zu beteiligen, so kann er sich in einem Vergabenachprüfungsverfahren gegebenenfalls nicht mehr auf deren Unzulässigkeit berufen (hier bejaht für die nachträgliche Umwandlung einer Grund- in eine Wahl/Bedarfsposition).*)
3. Die Vergabekammer prüft einzelne Vertragsklauseln nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit. Etwas anderes gilt nur dann, wenn durch die vertraglichen Regelungen die vertraglichen Risiken des abzuschließenden Vertrags in unangemessener Weise auf den Bieter verlagert werden.*)
4. Offensichtliche Rechenfehler, deren Korrektur anhand des angegebenen Einheits- oder Gesamtpreises ohne Weiteres möglich ist, dürfen korrigiert werden. Dies gilt auch für offensichtliche Eintragungsfehler.*)
VolltextIBRRS 2015, 2568
OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.07.2015 - 11 Verg 7/14
Die Kosten für die Hinzuziehung eines sachverständigen Ingenieurbüros durch den öffentlichen Auftraggeber stellen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen dar, soweit das erforderliche technische Wissen zur Abwehr eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabestelle nicht vorhanden ist.
VolltextIBRRS 2015, 2539
VK Südbayern, Beschluss vom 14.08.2015 - Z3-3-3194-1-34-05/15
1. § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 und § 19 EG Abs. 6 VOL/A 2009 sind zumindest dann drittschützend, wenn die Vergabestelle die gebotene Prüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebots unterlassen hat und der Mitbewerber substanziiert eine mögliche Schlechtleistung aufgrund des ungewöhnlich niedrigen Preises (hier durch möglicherweise unzureichenden Personaleinsatz) vorträgt.*)
2. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass eine unterbliebene Aufklärung nach § 16 EG Abs. 6 Nr. 2 VOL/A 2009 noch während des Nachprüfungsverfahrens nachgeholt wird (so schon VK Südbayern, Beschluss vom 10.02.2014 - Z3-3-3194-1-42-11/13).*)
3. Hat der Auftraggeber an keiner Stelle in der insoweit maßgeblichen Vergabebekanntmachung bindende Mindestanforderungen bezüglich des im Unternehmen vorhandenen gutachterlichen Personals gestellt, kommt ein Ausschluss eines zum Zuschlag vorgesehenen Angebots aufgrund fehlender Eignung wegen der nach Auffassung eines Mitbewerbers zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung nicht ausreichenden Anzahl des gutachterlichen Personals von vorneherein nicht in Betracht.*)
VolltextIBRRS 2015, 2546
OLG Schleswig, Beschluss vom 28.08.2015 - 1 Verg 1/15
1. Die einseitige Ausübung eines in den ursprünglichen Auftragsunterlagen eingeräumten und seinem Umgang nach bestimmbaren Leistungsbestimmungsrechts führt zu einer Vertragsänderung, die - wenn sie die Grenzen des vorab Vereinbarten wahrt - zu keiner Ausschreibungspflicht führt.
2. Eine "Anweisung" oder Leistungsbestimmung, die den Umfang des ursprünglich Vereinbarten überschreitet, ist wie ein neues Vertragsangebot zu behandeln.
3. Die "Aufstockung" von Vorhalteleistungen für den Rettungsdienst (Notfallrettung und Krankentransport) um 16% ist als eigenständiger öffentlicher Auftrag anzusehen.
IBRRS 2015, 2540
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.08.2015 - 3 VK LSA 54/15
1. Zulagepositionen sind solche Positionen, die regeln, dass der Auftragnehmer unter bestimmten Voraussetzungen eine zusätzliche Vergütung zu einer Grundposition verlangen kann. Die Aufnahme von Zulagepositionen kommt dann zur Anwendung, wenn bei Erstellung des Leistungsverzeichnisses noch nicht feststeht, welche Schwierigkeiten die Ausführung der Teilleistung mit sich bringt.
2. Der öffentliche Auftraggeber muss in den Vergabeunterlagen regeln, ob oder inwieweit Zulagepositionen gewertet werden sollen.
IBRRS 2015, 2524
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.05.2014 - VK 1-7/14
1. Für die Berechnung des Schwellenwertes sind die Auftragswerte der Interimsvergabe und der Hauptvergabe zusammenzufassen.*)
2. Die Frage der Dringlichkeit einer Interimsvergabe orientiert sich an dem Zeitraum, den der Auftraggeber für die Vorbereitung der Ausschreibung, die Prüfung und Wertung der Angebote sowie die Vorabinformation der beteiligten Bieter benötigt und an der Frist, die den Bietern für die Bearbeitung ihrer Angebote einzuräumen ist. Dem Auftraggeber ist regelmäßig ein Zeitraum von drei Monaten zuzubilligen.*)
3. Verzögerungen, die durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens entstehen, berechtigen zur Interimsvergabe.*)
4. Der Auftraggeber hat dem Wettbewerbsprinzip bei Interimsvergaben stufenweise Geltung zu verschaffen. Bei Vergaben bis zu drei Monaten kann der Bieterkreis auf ein Unternehmen beschränkt werden, bei Zeiträumen bis zu einem Jahr sind grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern und bei Zwischenvergaben von mehr als einem Jahr ist die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens erforderlich. Durch die stufenweise Erhöhung des Wettbewerbsprinzips soll den Belangen des Auftraggebers einerseits und den Belangen des Wettbewerbs andererseits adäquat Rechnung getragen werden.*)
5. Der Auftraggeber hat sich bei der Wahl seiner Interimsbeauftragung am notwendigerweise zu überbrückenden Zeitraum zum Zeitpunkt des Eintritts der Dringlichkeit zu orientieren. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung, die hinreichend zu dokumentieren ist.*)
VolltextIBRRS 2015, 2523
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.10.2014 - VK 1-25/14
1. Die Vorabinformation nach § 101a GWB dient der Gewährleistung des Rechtsschutzes nach den §§ 107 ff. GWB. Für eine Überprüfung der Vorabinformation besteht jedenfalls dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Zuschlag gemäß § 115 Abs. 1 GWB nicht erteilt werden darf. In diesem Fall ist von vornherein ausgeschlossen, dass eine unvollständige Information für einen Schaden im Sinne des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB kausal sein könnte.*)
2. Ein Bieter, der eine Tariftreueerklärung Rüge los mit seinem Angebot abgegeben hat, kann sich im Nachprüfungsverfahren nicht mehr auf die Unionsrechtswidrigkeit der geforderten Erklärung berufen.*)
3. Die Vergabestelle kann auch noch im laufenden Vergabeverfahren eine unzureichende Dokumentation von Vergabeentscheidungen nachholen, wenn keine Manipulationsgefahr besteht. Die Nachbesserung entspricht zum einen dem in § 110 Abs. 1 Satz 4 GWB normierten Gebot, den Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen zu verzögern, und zum anderen dem Recht der Vergabestelle, in jeder Phase der Ausschreibung - auch im laufenden Nachprüfungsverfahren - von sich aus Vergabefehler zu beheben.*)
VolltextIBRRS 2015, 2506
VK Bund, Beschluss vom 12.06.2015 - VK 2-31/15
1. Reagiert ein Unternehmen in personeller Hinsicht überhaupt nicht auf ein schwerwiegendes Fehlverhalten seiner vertretungsberechtigten Organe, sondern belässt es die Geschäftsführer ohne jede personelle Konsequenz in ihrer Funktion, liegt in diesem Unterlassen ein eigenständiges und schwerwiegendes Fehlverhalten, das die Integrität des Unternehmens in Frage stellt.
2. Hat ein Bieter eine schwere Verfehlung zum Nachteil des Auftraggebers begangen, besteht die Möglichkeit, den Nachweis von Maßnahmen zu erbringen, die trotz des Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit belegen. Befindet der Auftraggeber die Maßnahmen für ausreichend, unterbleibt ein Ausschluss.
VolltextIBRRS 2015, 2486
LG Bonn, Urteil vom 05.08.2015 - 3 O 365/13
1. Bietet der Frachtführer eine Expresslieferung an, so muss er sicherstellen, dass die rechtzeitige Zustellung möglich ist und andernfalls den Auftrag ablehnen. Durch die anstandslose Entgegennahme einer Sendung bringt der Frachtführer zum Ausdruck, dass er für die rechtzeitige Lieferung einstehen wird.
2. Erreicht hiernach ein Angebot im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung die Vergabestelle erst nach Ablauf der Angebotsfrist und wird dieses deshalb ausgeschlossen, so schuldet der Frachtführer dem betroffenen Bieter Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses, wenn das Angebot bei rechtzeitigem Eingang den Zuschlag erhalten hätte.
3. Den Absender trifft keine Hinweispflicht gegenüber dem Frachtführer im Hinblick auf die Möglichkeit eines außergewöhnlichen Schadenseintritts und damit kein anspruchsminderndes Mitverschulden.
VolltextIBRRS 2015, 2485
VK Bund, Beschluss vom 22.07.2015 - VK 2-61/15
1. Aufgrund der schwerwiegenden Konsequenzen, die ein Angebotsausschluss für die Bieter zwangsläufig hat, kommt ein solcher nur in Betracht, wenn der entsprechende Nachweis wirksam gefordert und eindeutig war.
2. Der öffentliche Auftraggeber muss die Ausschreibungsbedingungen so klar formulieren, dass objektive, fachkundige Bieter keine Verständnisschwierigkeiten haben. Verbleiben etwaige Unklarheiten, gehen diese zu seinen Lasten.
VolltextIBRRS 2015, 2508
OLG München, Beschluss vom 02.09.2015 - Verg 6/15
1. Nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags orientiert sich die Kostenverteilung grundsätzlich am voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens. Gesichtspunkte der Billigkeit können es jedoch im Einzelfall gebieten, von diesem Grundsatz abzuweichen und den Antragsgegner ganz oder teilweise mit Verfahrenskosten zu belasten.
2. Erteilt der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen und in der Zurückweisung der Rüge den unzutreffenden Hinweis, der Antragsteller könne Rechtsschutz im Verfahren vor den Vergabekammern erlangen, entspricht es dem Gebot der Billigkeit, ihm zumindest teilweise die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Dessen ungeachtet hat der Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen.
VolltextIBRRS 2015, 2461
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12.05.2015 - 1 VK LSA 7/15
Entscheidend für die Frage der Zuständigkeit ist die Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers. Dabei ist unerheblich, dass die Benennung der optionalen Verlängerung des Leistungszeitraums um ein weiteres Jahr auf einem redaktionellen Versehen beruhe, da sich diese Option durchgängig durch alle Vergabeunterlagen zieht.*)
VolltextIBRRS 2015, 3363
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30.07.2015 - 3 VK 1/15
1. Es gibt keinen Nachprüfungsantrag zur Fristwahrung. Der Antrag an die Vergabekammer unterliegt im Gegensatz zur Rügeobliegenheit des § 107 Absatz 3 GWB grundsätzlich keinen zeitlichen Ausschlussfristen.
2. Allerdings hat der Antragsteller eine Pflicht zur Mitwirkung am zügigen Abschluss des Verfahrens.
3. Dazu gehört es, dass er die seinen Nachprüfungsantrag rechtfertigenden Tatsachen im Rahmen des ihm Möglichen nachvollziehbar und substantiiert vortragen und Beweismöglichkeiten aufzeigen.
VolltextIBRRS 2015, 2489
OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.07.2015 - 11 Verg 1/14
1. Ob eine 2,0 Gebühr im Vergabenachprüfungsverfahren billigem Ermessen im Sinne von § 14 Abs. 1 RVG entspricht, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. In Vergabeverfahren, die gemessen an durchschnittlichen Vergabeverfahren überdurchschnittlich umfangreich und schwierig sind, kann eine 2,0 Gebühr (mindestens) gerechtfertigt sein. Erweist sich die Gebühr von 2,0 - ohne Berücksichtigung des dem Anwalt zustehenden Ermessensspielraum - als Mindestgebühr gerechtfertigt, überschreitet die Bestimmung einer 2,4 fachen Gebühr nicht den dem Anwalt zustehenden Ermessensspielraum von 20%.*)
2. Die Wahrnehmung eines Termins durch die Partei persönlich ist in Vergabesachen meist zweckmäßig und sinnvoll. Ihr steht Anspruch auf Erstattung von Reisekosten und Verdienstausfall deshalb in der Regel unabhängig davon zu, ob das persönliche Erscheinen angeordnet war.*)
VolltextIBRRS 2015, 2462
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.05.2015 - 2 VK LSA 2/15
Grundsätzlich fehlen Dokumente nicht nur dann, wenn sie körperlich nicht vorhanden sind. Vielmehr sind sie auch dann als fehlend anzusehen, wenn sie formelle Mängel aufweisen oder inhaltliche Unzulänglichkeiten, die formellen Mängeln gleich kommen. Danach sind auch fehlende Einzelangaben innerhalb einer vorhandenen Gesamterklärung Nachforderungen zugänglich.*)
VolltextIBRRS 2015, 2446
OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.07.2015 - 11 Verg 1/15
1. Nimmt der Antragsteller den Nachprüfungsantrag zurück, ist über die Kosten des Beschwerdeverfahrens unter Einschluss der Gerichtskosten nach Billigkeit zu entscheiden.
2. War der Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer weitgehend erfolgreich und erfolgte die Rücknahme des Nachprüfungsantrags aufgrund eines zwischen Antragsteller und Antragsgegner abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleichs, besteht keine Veranlassung, dem Antragsteller bereits deshalb die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, weil er sich durch die Rücknahme selbst in die Position der unterliegenden Partei begeben hat.
3. Entsprechend einer Erledigung des Beschwerdeverfahrens aus sonstigen Gründen kommt es vielmehr auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses an.
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