Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
10831 Entscheidungen insgesamt
Online seit 2023
IBRRS 2023, 2025VK Südbayern, Beschluss vom 29.11.2022 - 3194.Z3-3_01-22-39
1. Bietet ein Architekturbüro eine nach den Vergabeunterlagen zu erbringende Leistungsphase mit einem Honoraranteil von 0% an, lässt sich allein daraus noch nicht schließen, dass sein Angebot die Erbringung der jeweiligen Leistungsphase nicht enthält, da auch ein Verständnis des Angebots dahingehend möglich ist, dass die Leistungsphase unentgeltlich erbracht werden soll.*)
2. Erklärt das Architekturbüro allerdings im Rahmen der Preisaufklärung nach § 60 VgV die geforderte Leistungsphase gar nicht erbringen zu wollen, ist das Angebot wegen Änderung nach Vergabeunterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV bzw. als nicht zugelassenes Nebenangebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 6 VgV zwingend auszuschließen.*)
3. Auch ein Architekturbüro das die Vorplanung für die streitgegenständliche Planungsleistung für einen anderen Auftraggeber erbracht hat, kann als vorbefasstes Unternehmen i.S.d. § 7 Abs. 1 VgV anzusehen sein.*)
4. Bei einer Preisbewertungsmethode wie einer Interpolation, bei der die Bewertung in Abhängigkeit zu anderen Angeboten erfolgt, dürfen zwingend auszuschließende Angebote keinesfalls in der Berechnung verbleiben, weil sie die Reihenfolge der wertbaren Angebote verändern können.*)
5. Die Wahl einer Bewertungsmethode des Preises, bei der bereits relativ kleine Preisabstände zu großen Unterschieden in der Punktbewertung führen können (0 Punkte für ein Angebot das 25% oder mehr über dem niedrigsten Angebot liegt), kann jedenfalls im Falle eines preislichen "Ausreißers nach unten" mit dem Gebot des Leistungswettbewerbs nach § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV unvereinbar sein, da in diesem Fall der Wettbewerb nicht mehr anhand der Leistungsbewertung, sondern im Wesentlichen über den Preis entschieden wird.*)
IBRRS 2023, 2000
EuGH, Urteil vom 08.06.2023 - Rs. C-50/21
1. Art. 107 Abs. 1 AEUV steht einer für einen Großraum geltenden Regelung nicht entgegen, wonach zum einen zusätzlich zu der nationalen Genehmigung, die für die Erbringung von städtischen und überörtlichen Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer erforderlich ist, eine besondere Genehmigung erforderlich ist, um in diesem Großraum Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer auszuüben, und zum anderen die Anzahl der Lizenzen für solche Dienstleistungen auf ein Dreißigstel der für diesen Großraum erteilten Anzahl der Lizenzen für Taxidienste begrenzt ist, sofern diese Maßnahmen nicht zu einem Einsatz staatlicher Mittel im Sinne dieser Bestimmung führen.*)
2. Art. 49 AEUV steht einer in einem Großraum geltenden Regelung nicht entgegen, wonach zusätzlich zu der nationalen Genehmigung, die für die Erbringung von städtischen und überörtlichen Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer erforderlich ist, eine besondere Genehmigung erforderlich ist, um in diesem Großraum Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer auszuüben, wenn diese besondere Genehmigung auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruht, die jede Willkür ausschließen und sich nicht mit Kontrollen überschneiden, die bereits im Rahmen des nationalen Genehmigungsverfahrens durchgeführt wurden, sondern besonderen Bedürfnissen dieses Großraums entsprechen.*)
3. Art. 49 AEUV steht einer in einem Großraum geltenden Regelung entgegen, wonach die Anzahl der Lizenzen für Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer auf ein Dreißigstel der für diesen Großraum erteilten Anzahl der Lizenzen für Taxidienste begrenzt ist, sofern weder feststeht, dass diese Maßnahme geeignet ist, die Verwirklichung der Ziele einer guten Organisation der Beförderung, des Verkehrs und des öffentlichen Raums dieses Großraums sowie des Ziels des Umweltschutzes zu gewährleisten, noch, dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der genannten Ziele erforderlich ist.*)
VolltextIBRRS 2023, 1996
VK Südbayern, Beschluss vom 23.05.2023 - 3194.Z3-3_01-22-63
1. Die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote im Verhandlungsverfahren nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV bedarf grundsätzlich des Zugangs beim Bieter. Sie ist als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, da sie auf den Abschluss der Verhandlungen gerichtet ist und als gesetzliche Folge das Verhandlungsverbot über die finalen Angebote nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV nach sich zieht.*)
2. Der Zugang einer E-Mail erfordert, dass sie auf einem vom Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzten Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird (BGH, IBR 2022, 607).*)
3. Für den Zugang von Erklärungen, die im Bieterbereich einer Vergabeplattform eingestellt werden, ist erforderlich, dass den Bietern unmissverständlich mitgeteilt wird, dass dieser Bieterbereich für die Zustellung rechtserheblicher Erklärungen genutzt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn sowohl die Erläuterungen in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen als auch im Benutzerhandbuch der Vergabeplattform darauf hinweisen, dass verfahrenserhebliche Erklärungen an die bei der Registrierung angegebene E-Mail-Adresse versendet werden.*)
IBRRS 2023, 1980
VK Bund, Beschluss vom 09.05.2023 - VK 2-26/23
1. Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Auftragsbekanntmachung bzw. aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.
2. Für die Erkennbarkeit gilt ein objektiver Maßstab. Erkennbar sind Verstöße, die vom durchschnittlichen Unternehmen des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen bereits in tatsächlicher und in laienhaft rechtlicher Hinsicht erkannt werden können. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots auffallen muss.
3. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber ist nicht notwendig, wenn ihm juristisch qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, das grundsätzlich geeignet und in der Lage ist, in einem Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen, die zum originären Aufgabenkreis des Auftraggebers gehören, zu bearbeiten.
VolltextIBRRS 2023, 1975
VK Südbayern, Beschluss vom 28.04.2023 - 3194.Z3-3_01-22-57
1. Der Preis darf dann einziges Zuschlagskriterium sein, wenn nach dem Gegenstand des Auftrags und der Gesamtheit der Vergabeunterlagen erreicht werden kann, dass der Zuschlag auf das Angebot nach dem besten Preis-Leistung-Verhältnis erteilt wird (BGH, Beschluss vom 10.05.2016 - X ZR 66/15, IBRRS 2016, 1912 = VPRRS 2016, 0270).*)
2. Ist dies sichergestellt, kann zumindest im Anwendungsbereich der VgV auch bei einem Vergabeverfahren mit funktionalen Elementen der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium zulässig sein.*)
3. Notwendigkeit zur Festlegung nichtpreislicher Zuschlagskriterien kann sich dann ergeben, wenn sich den Vergabeunterlagen ein bestimmtes vom Auftraggeber bevorzugtes Qualitätsniveau entnehmen lässt, aber hiervon qualitativ abweichende Lösungen beispielsweise in Form von funktionalen Elementen oder Nebenangeboten zugelassen sind.*)
IBRRS 2023, 1952
VK Bund, Beschluss vom 20.06.2023 - VK 2-34/23
1. Die Tatsache, dass ein Bieter eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Unternehmens als Hosting-Dienstleister einbinden will, muss den Auftraggeber nicht an der Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens zweifeln lassen (Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.09.2022 - 15 Verg 8/22, IBRRS 2022, 2708 = VPRRS 2022, 0214, und VK Bund, Beschluss vom 13.02.2023 - VK 2-114/22, IBRRS 2023, 0631 = VPRRS 2023, 0048).
2. Unklarheiten im Angebot hat der Auftraggeber aufzuklären, damit der Zuschlag nur auf ein Angebot erteilt wird, das die auftraggeberseitig gesetzten Vorgaben auch einhält und damit ein korrektes Angebot den Zuschlag erhält. Eine Lösung über die vertragliche Ebene, wonach eine nicht vertragsgemäße Leistungserbringung durch vertragliche Sanktionsmechanismen erfasst wird, kommt für den vergaberechtlichen Wettbewerb zu spät.
3. Der Vorauftragnehmer ist kein Unternehmen, das das Vergabeverfahren mit und für den öffentlichen Auftraggeber vorbereitet hat.
VolltextIBRRS 2023, 1921
VK Bund, Beschluss vom 07.07.2023 - VK 2-36/23
1. Der öffentliche Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne eine Überprüfung auf das Leistungsversprechen eines Bieters verlassen.
2. Der öffentliche Auftraggeber ist im Interesse einer zügigen Umsetzung der Beschaffungsabsicht und eines raschen Abschlusses des Vergabeverfahrens wie auch aus Gründen seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt, sondern vielmehr in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei, wobei das gewählte Mittel jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein muss.
3. Mängel der Dokumentation sind durch Vorbringen im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens heilbar, solange keine Anhaltspunkte für Manipulation vorliegen.
VolltextIBRRS 2023, 1883
VK Südbayern, Beschluss vom 13.06.2023 - 3194.Z3-3_01-23-11
1. Ein Verweisungsbeschluss einer Vergabekammer an eine andere ist für letztere auch dann analog § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GWB bindend, wenn große Zweifel an der Richtigkeit des Verweisungsbeschlusses bestehen, dieser aber nicht willkürlich ergangen ist (OLG Jena, Beschluss vom 16.07.2007 - 9 Verg 4/07, IBRRS 2007, 4285 = VPRRS 2007, 0341).*)
2. Ein Verweisungsbeschluss ist für die Vergabekammer, an die verwiesen wurde, lediglich formell - d. h. hinsichtlich der Zuständigkeit - bindend. Eine materielle Bindungswirkung besitzt der Verweisungsbeschluss nicht. An die tragenden Gründe des Verweisungsbeschlusses ist die Vergabekammer, an die verwiesen wurde, nicht gebunden.*)
3. Richtiger Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren ist derjenige Auftraggeber, dem der streitgegenständliche Auftrag zuzurechnen ist. Hierbei ist im Regelfall eine Orientierung an den zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen geboten (OLG München, IBR 2013, 1035 - nur online). Weitere Voraussetzung muss zur Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes allerdings sein, dass der Antragsgegner auch die Befugnisse hat, auf das Vergabeverfahren einzuwirken und etwaige Anordnungen der Vergabenachprüfungsinstanzen umzusetzen.*)
4. Die Änderung von Muss-Anforderungen in einem Verhandlungsverfahren ist eine Form der Leistungsbestimmung durch den Auftraggeber im Detail. Eine vertiefte Dokumentation der Leistungsbestimmung ist insbesondere dann erforderlich, wenn sie wettbewerbsbeschränkend wirkt, d. h. wenn sie dazu führt, dass sich der Bieterkreis auf einen oder wenige Bieter beschränkt.*)
5. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Ist - wie hier bei Energieverbrauchsdaten eines noch zu entwickelnden Triebzugs - oder bei einer Konzeptbewertung eine Überprüfung mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit während des Vergabeverfahrens nicht möglich, ist zumindest zu verlangen, dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht.*)
6. Ein Ausschluss eines Angebots wegen Abweichungen von Vorgaben des Auftraggebers zur rein formalen Gestaltung des Angebots (hier: Vorgaben zur Benennung von Dateien), die nicht zu einem von den Vorgaben des Auftragsgebers abweichenden Vertragsinhalt führen und auch nicht die Gleichbehandlung der Bieter berühren, ist regelmäßig gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 unverhältnismäßig.*)
7. Eine Nachforderung von Unterlagen nach § 51 Abs. 2 SektVO ist nicht bereits dann generell ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber zum Zeitpunkt seiner Ermessensentscheidung über die Nachforderung noch nicht wissen kann, ob die Unterlage vielleicht Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und damit gem. § 51 Abs. 3 SektVO gar nicht nachgefordert werden dürfte. Der Auftraggeber muss allerdings, wenn er vom Inhalt der nachforderten Unterlage Kenntnis nimmt und dabei erkennt, dass diese Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und gar nicht hätte nachgefordert werden dürfen, diese bei der Angebotswertung außer Acht lassen.*)
VolltextIBRRS 2023, 1884
VK Südbayern, Beschluss vom 25.11.2022 - 3194.Z3-3_01-22-27
1. Es ist nicht mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG zu vereinbaren, wenn Bieter durch überzogene Anforderungen an die Substantiierung von Rügen weitgehend an der Stellung von Nachprüfungsanträgen in Bezug auf mögliche Rechtsverstöße gehindert würden, die sich überwiegend oder ganz ihrer Erkenntnismöglichkeit entziehen, weil sie sich in der Sphäre des Auftraggebers oder konkurrierender Bieter abspielen.*)
2. Die Rüge solcher Vergabeverstöße aufgrund von Vermutungen ist nicht generell als Missbrauch des Nachprüfungsrechts auszusehen.*)
3. In sich widersprüchliche Angebote dürfen ohne vorherige Aufklärung des Angebotsinhalts weder bezuschlagt noch ausgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber hat in einer solchen Situation den betreffenden Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen (OLG Düsseldorf, IBR 2015, 680 = VPR 2016, 23). Dabei darf das Angebot allerdings nur soweit aufgeklärt werden, dass klar wird, welche der beiden Verständnismöglichkeiten des in sich widersprüchlichen Angebots vom Bieter gemeint war.*)
4. Bei der Ermittlung der Aufgreifschwellen für die Preisprüfung nach § 60 VgV sind auch zuschlagsfähige Angebote zu berücksichtigen, die der Auftraggeber rechtswidrig nicht berücksichtigt hat.*)
IBRRS 2023, 1882
VK Sachsen, Beschluss vom 14.04.2023 - 1/SVK/003-23
1. Ist mit den Bewerbungsbedingungen klargestellt worden, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über eine Vergabeplattform erfolgen soll, dann muss sich der Auftraggeber hieran im Wege einer Selbstbindung festhalten lassen. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung, beispielsweise durch Versendung eines fristgebundenen Nachforderungsschreibens per E-Mail, ist dann ausgeschlossen.*)
2. Zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und dem jeweiligen Bieter kommt spätestens ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zu Stande, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet. Dieses verlangt gem. § 241 Abs. 2 BGB die Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dieser Verpflichtung widerspricht es, von einem mit den Bewerbungsbedingungen angekündigten Kommunikationsweg stillschweigend abzuweichen.*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Überprüfungspflichten des Auftraggebers entstehen erst, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an den Angaben des Bieters wecken könnten und sein Leistungsversprechen als nicht plausibel erscheinen lassen. In diesen Fällen muss der Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen effektiv zu verifizieren. Daneben tritt der im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und in der Beschwerdeinstanz gleichermaßen geltende Untersuchungsgrundsatz, der die Nachprüfungsinstanzen zur umfassenden Erforschung des für die geltend gemachte Rechtsverletzung relevanten Sachverhalts verpflichtet. In die Überprüfung einer angegriffenen Zuschlagsentscheidung können alle Gründe mit einbezogen werden, die Grundlage der Entscheidung der Vergabestelle gewesen sind.*)
4. Eine geringfügige Auslegungsbedürftigkeit der Leistungsbeschreibung stellt keinen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung dar, denn auch bei deren sorgfältiger Erstellung kann nie ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten, da jeder Begriff der Sprache auslegungsfähig ist und das genaue Verständnis stets vom Empfängerhorizont abhängt. Dies gilt für Ausschreibungen im Software- und Hardwarebereich, in denen es nur selten einheitlich definierte technische Vokabeln gibt, umso mehr. Würde man bei jeder noch so geringen Unklarheit dem Auftraggeber die Verantwortung aufbürden, bestünde die Gefahr, dass die Bieter durch geschickte Argumentation nachträglich Unklarheiten in die Leistungsbeschreibung hineininterpretieren könnten, um Vorteile aus diesem "Fehler der Vergabestelle" bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses zu generieren.*)
IBRRS 2023, 1880
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2022 - 15 W 14/21
1. Ein Besichtigungsanspruch gemäß § 140c PatG, der prozessual mit Hilfe eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO kombiniert mit einer einstweiligen Duldungsverfügung gemäß § 140c Abs. 3 PatG geltend gemacht wird, unterfällt nicht den §§ 155, 156 Abs. 2 GWB. Die Zivilgerichte sind deshalb auch während eines laufenden Vergabeverfahrens zuständig.*)
2. Die Durchführung einer Vergleichserprobung und Bemusterung eines im Laufe des Vergabeverfahrens überreichten Gegenstandes (Waffe) stellt ein Gebrauchen i.S.d. § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG dar. Ein späterer Erwerb und/oder bestimmungsgemäßer Einsatz des überreichten Gegenstandes ist hierfür nicht erforderlich.*)
3. Dienen mit dem überreichten Gegenstand (Waffe) durchgeführte Versuche nicht dem technischen Fortschritt, greift das Versuchsprivileg des § 11 Nr. 2 PatG nicht ein.*)
4. Eine Weitergabe im Sinn des § 6 Abs. 2 VSVgV liegt nicht vor bei der gerichtlichen Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens kombiniert mit einer einstweiligen Duldungsverfügung.*)
5. Objekt einer Besichtigung ist allein eine Sache gemäß § 90 BGB. Urkunden können deshalb bei alleiniger Geltendmachung eines Besichtigungsanspruchs entsprechend § 140c PatG nicht herausverlangt werden. Konstruktionszeichnungen sind Sachen.*)
VolltextIBRRS 2023, 1859
VG Magdeburg, Urteil vom 08.12.2022 - 3 A 117/20
Der Inhalt einer Verwaltungsvorschrift kann auch dann zum Gegenstand einer Auflage als Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG gemacht werden, wenn das der Verwaltungsvorschrift zugrundeliegende materiell-rechtliche Gesetz außer Kraft getreten ist (hier: ANBest-K i.V.m. § 32 Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO-SA).*)
IBRRS 2023, 1848
VG Köln, Urteil vom 03.03.2023 - 16 K 2955/20
1. Die Rückforderung einer gewährten und ausgezahlten Zuwendung wegen Vergaberechtsverstößen setzt voraus, dass der Zuwendungsbescheid Vorgaben zur Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen enthält. Diesbezüglich ist ein strenger Maßstab anzulegen.
2. Bei der Auslegung der Regelungen des Zuwendungsbescheids gehen Unklarheiten zu Lasten der Erlassbehörde.
IBRRS 2023, 1836
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.02.2023 - 4 A 3042/19
1. Förderrichtlinien sind keine Rechtssätze. Sie sind dazu bestimmt, für die Verteilung der Fördermittel Maßstäbe zu setzen, und sollen auf diese Weise die Ausübung des Ermessens durch die Bewilligungsbehörden steuern. Deshalb bewirken sie zunächst nur eine interne rechtliche Bindung des Verwaltungsermessens.
2. Der bloße Verstoß gegen eine Förderrichtlinie macht eine Ermessensausübung daher nicht rechtswidrig, die bloße Beachtung nicht rechtmäßig.
3. In ihrem rechtlichen Verhältnis zum Förderempfänger ist die Bewilligungsbehörde nur durch den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Wenn sie sich an ihre Förderrichtlinien hält, ist sie verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe eine Abweichung rechtfertigen oder gebieten. Weicht sie generell von den Förderrichtlinien ab, verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung. Ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis.
4. Die Vorschriften der Haushaltsordnungen entfalten lediglich Bindungswirkung im Verhältnis der - den Haushaltsplan aufstellenden und den Haushaltsplan ausführenden - Staatsorgane zueinander und regeln nicht das Verhältnis zum Zuwendungsempfänger.
VolltextIBRRS 2023, 1805
OVG Sachsen, Beschluss vom 28.06.2023 - 5 B 96/23
1. Ein koordinationsrechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag (hier: über die Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport) kann vom Auftraggeber aus „sachgerechten Gründen“ ordentlich gekündigt werden.
2. Eine Kündigung ist sachgerecht, wenn der geschlossene Vertrag nicht mit objektivem Recht vereinbar ist, weil er entgegen gesetzlicher Vorschriften weder im Wettbewerb vergeben wurde noch befristet ist und die Finanzierung der Kosten der Vertragserfüllung europarechtlichen Anforderungen nicht entspricht.
VolltextIBRRS 2023, 1801
BGH, Urteil vom 16.05.2023 - XIII ZR 14/21
1. Der Auftraggeber kann gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 festlegen, welche elektronischen Mittel (§§ 11, 11a VOB/A 2016) bei der Einreichung von elektronischen Angeboten zu verwenden sind.*)
2. Werden vorgegebene elektronische Mittel bei der Einreichung des Angebots nicht verwendet, ist das Angebot nicht formgerecht übermittelt und gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 auszuschließen.*)
IBRRS 2023, 1773
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.03.2022 - 1 VK 8/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann eine Ausschreibung aufheben, wenn die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen.
2. Die Vergabeunterlagen müssen grundlegend geändert werden, wenn eine ganz entscheidende Abänderung der bisherigen Absicht zur Leistungserbringung erforderlich wird oder wenn die ursprünglichen Leistungsanforderungen für Auftraggeber und Bieter nicht mehr zumutbar sind und die notwendigen Änderungen nicht mit den Regelungen der VOB/B aufgefangen werden können, ohne dass dadurch eine Wettbewerbsverzerrung eintritt.
3. Rein interne Beweggründe oder Motivationsänderungen, die der Auftraggeber für die Ausschreibung gehabt hat, die aber dem Unternehmen nicht bekannt sind, also etwa ein im Nachhinein geänderter Beschaffungsbedarf im Zuge einer "politischen Neubewertung" des Vorhabens, reichen zur - rechtmäßigen - Aufhebung der Ausschreibung nicht aus.
VolltextIBRRS 2023, 1770
OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2023 - 27 U 4/22
1. Die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB erfasst keine Vergaben unterhalb der Schwellenwerte (Aufgabe von Senatsbeschluss vom 13.12.2017 - 27 U 25/17, IBR 2018, 156). Die Vorschrift ist mangels planwidriger Regelungslücke auch nicht analog anwendbar.
2. Sofern weder ein grenzüberschreitendes Interesse noch eine landesgesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung vor Zuschlagserteilung besteht, ist der Auftraggeber bei einer Unterschwellenvergabe nur zur nachgelagerten Unterrichtung über den bereits erfolgten Abschluss beziehungsweise die Zuschlagserteilung verpflichtet.
3. Ein einem Schadensersatzanspruch vorausgehender Anspruch auf Akteneinsicht in einem Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich kommt nur in Betracht, wenn der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung besteht. Daran fehlt es, wenn ein Bieter lediglich auf Grund vager Vermutungen Einsicht verlangt, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung zu gewinnen.
IBRRS 2023, 1749
VK Südbayern, Beschluss vom 26.09.2022 - 3194.Z3-3_01-22-48
1. Dringliche und zwingende Gründe für eine Dringlichkeitsvergabe kommen grundsätzlich nur bei akuten Gefahrensituationen und höherer Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Gefahren und Schäden für Leib und Leben ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern.
2. Unvorhersehbar sind Ereignisse, mit denen auch bei Anlegung eines hohen objektiven Sorgfaltsmaßstabs nicht gerechnet werden konnte.
3. Die Notwendigkeit einer Leistung im Bereich der Daseinsvorsorge, wo der Grundsatz der Kontinuität der Leistung eine nahtlose Weiterführung gegenüber den Nutzern erfordert, kann einen äußerst dringlichen, zwingenden Grund bilden.
4. Eine besondere Dringlichkeit kann für einen kurzen Übergangszeitraum selbst dann gegeben sein, wenn die Gründe für die Dringlichkeit in der Sphäre des Auftraggebers liegen. Jedoch bleibt zu beachten, dass auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb regelmäßig mehrere Bieter beteiligt werden müssen.
VolltextIBRRS 2023, 1731
EuGH, Urteil vom 08.06.2023 - Rs. C-545/21
1. Art. 2 Nr. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11.07.2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 ist dahin auszulegen, dass der Begriff "Unregelmäßigkeit" im Sinne dieser Bestimmung Verhaltensweisen erfasst, die als "Bestechungshandlungen" eingestuft werden können, die im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags erfolgen, das die Durchführung von Arbeiten zum Gegenstand hat, die von einem Strukturfonds der Union mitfinanziert werden, und wegen denen ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren eingeleitet wurde, auch wenn nicht bewiesen ist, dass diese Verhaltensweisen einen tatsächlichen Einfluss auf das Verfahren zur Auswahl des Bieters gehabt haben, und kein tatsächlicher Schaden für den Unionshaushalt festgestellt wurde.*)
2. Art. 98 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten im Fall einer "Unregelmäßigkeit", wie sie in Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung definiert wird, verpflichtet, für die Bestimmung der anwendbaren finanziellen Berichtigung eine Einzelfallprüfung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, wobei u. a. die Art und der Schweregrad der festgestellten Unregelmäßigkeiten sowie ihre finanziellen Auswirkungen für den betreffenden Fonds zu berücksichtigen sind.*)
VolltextIBRRS 2022, 2599
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.08.2022 - Verg 53/21
1. Ein Interesse am konkret ausgeschriebenen Auftrag (§ 160 Abs. 2 GWB) ist bei Geltendmachung angebotshindernder Vergaberechtsverstöße im Falle einer Direktvergabe grundsätzlich für jedes Unternehmen anzunehmen, das sich am Vergabeverfahren hätte beteiligen können. Dazu reicht es in der Regel aus, wenn das Unternehmen zu der in Betracht kommenden Branche gehört und damit generell dafür eingerichtet ist, Aufträge dieser Art auszuführen.
2. Andererseits bedarf es eines objektiv feststellbaren wirtschaftlichen Interesses des antragstellenden Unternehmens gerade an dem konkreten Auftrag, eine bloße Interessenbekundung genügt nicht.
3. Das Interesse am konkreten Auftrag ist zu plausibilisieren, wenn hieran ernsthafte Zweifel bestehen.
VolltextIBRRS 2023, 1716
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.08.2022 - Verg 54/21
1. Angebote, die nicht fristgerecht eingegangen sind, sind grundsätzlich von der Wertung auszuschließen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Bieter den verspäteten Eingang nicht zu vertreten hat.
2. Der Bieter trägt das Risiko der Übermittlung und des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebots. Es ist seine Sache dafür zu sorgen, dass sein Angebot vollständig innerhalb der Angebotsfrist beim öffentlichen Auftraggeber eingeht.
3. Nicht zu vertreten hat der Bieter Zugangshindernisse aus der Risikosphäre des Auftraggebers (hier verneint).
IBRRS 2023, 1706
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2022 - Verg 55/21
1. Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn kein Angebot eingegangen ist das den Bedingungen entspricht, sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat, kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder andere schwer wiegende Gründe bestehen.
2. Ein schwer wiegender Grund besteht nur dann, wenn er die bisherige Vergabeabsicht des Auftraggebers entscheidend beeinflusst. Berücksichtigungsfähig sind grundsätzlich nur solche Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen. Die Feststellung eines schwer wiegenden Grunds erfordert eine Interessenabwägung, für die die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls maßgeblich sind.
IBRRS 2023, 1694
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.2022 - Verg 1/22
1. Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge (ausnahmsweise) im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind.
2. An das Erfordernis der äußerst dringlichen und zwingenden Gründe bestehen hohe Anforderungen. Vorausgesetzt ist eine drohende gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung für den Fall, dass ein reguläres Vergabeverfahren durchgeführt würde. Hierzu gehören akute Gefahrensituationen und Fälle höherer Gewalt, die zur Vermeidung von Schäden für Leib und Leben der Allgemeinheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern.
3. Die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen nicht dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen sein.
IBRRS 2023, 1642
KG, Beschluss vom 06.07.2022 - Verg 6/22
1. Das Einsichtsrecht in die Vergabeakten ist kein Selbstzweck, sondern dient den Zwecken des Vergabenachprüfungsverfahrens und damit dem Rechtsschutzbegehren des jeweiligen Akteneinsicht begehrenden Beteiligten. Daraus folgt, dass es für eine Einsicht in die Vergabeakten eines konkreten aus dem Rechtsschutzbegehren des Beteiligten folgenden Rechtsschutzbedürfnisses bedarf.
2. Anders als die Vergabeakten, bei denen es sich um die Behördenakten eines Beteiligten, nämlich des das Vergabeverfahren betreibenden öffentlichen Auftraggebers handelt, stehen die Akten der Nachprüfungsinstanzen den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens ohne Einschränkung offen. Das gilt auch für die Verfahrensakten der Vergabekammer.
3. Schriftsätze und sonstige Unterlagen, die Beteiligte im Vergabenachprüfungsverfahren mit der Maßgabe zu den Akten reichen, dass sie ganz oder teilweise den übrigen Beteiligten oder einem Teil von ihnen nicht zur Kenntnis gelangen sollen (sog. "geschwärzte" Unterlagen), werden insoweit weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten.
IBRRS 2023, 1617
VK Südbayern, Beschluss vom 10.10.2022 - 3194.Z3-3_01-22-40
1. Einem Bieter, der auf einem wirtschaftlich aussichtslosen Rang liegt, fehlt die Antragsbefugnis, wenn er selbst mit begründeten Einwendungen gegen den Zuschlagsprätendenten nicht erreichen wird, dass er selbst eine aussichtsreiche Chance auf den Zuschlag erhielte.*)
2. Ein Bieter, der auf einem wirtschaftlich aussichtslosen Rang liegt, muss substantiiert vortragen und begründen, warum es möglich erscheint, dass die Angebote der vor ihm platzierten Bieter allesamt auszuschließen sind, um antragsbefugt zu sein. Rein pauschale Vermutungen und Vorwürfe ohne substantiierte und konkrete Begründungen gegen die besserplatzierten Bieter sind hierfür nicht ausreichend.*)
VolltextIBRRS 2023, 1603
BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 - Verg 17/22
1. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Frage ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beantworten.
2. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber ist regelmäßig nicht notwendig, wenn eine vergaberechtliche Angelegenheit lediglich einfache, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze aufwirft, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann.
3. Stehen nicht einfache, insbesondere rechtlich noch ungeklärte oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnende Rechtsfragen im Streit, spricht dies tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung.
IBRRS 2023, 1602
BayObLG, Beschluss vom 08.02.2023 - Verg 17/22
1. Es steht dem (öffentlichen) Auftraggeber frei, einem Tragwerksplaner den Auftrag für die Leistungsphasen 2 und 3 zu beauftragen, ohne ihn auch mit der Grundlagenermittlung (Leistungsphase 1) zu betrauen, auch wenn es sich dabei um einen den weiteren Leistungsphasen notwendig vorangehenden Entwicklungsschritt handelt.
2. Sind die von einem Tragwerksplaner im Rahmen der Leistungsphase 1 zu erbringenden Leistungen nicht Gegenstand der Ausschreibung, muss der künftige Auftragnehmer derartige Leistungen auch nicht erbringen.
3. Sollte sich im Stadium der Leistungserbringung herausstellen, dass notwendige Vorleistungen für die Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen der Leistungsphase 2 fehlen, ist der beauftragte Tragwerksplaner gehalten, deren Erbringung vom Auftraggeber einzufordern und - falls sich seine eigenen Leistungen dadurch verzögern sollten - Behinderung anzuzeigen.
IBRRS 2023, 1601
BayObLG, Beschluss vom 20.01.2023 - Verg 17/22
1. Der öffentliche Auftraggeber darf bis zum Ablauf der Beschwerdefrist den Zuschlag nicht erteilen, nachdem er von der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag unterrichtet worden ist. Alle sonstigen Maßnahmen zur Durchführung des Vergabeverfahrens bleiben dagegen erlaubt. Deshalb kann der Auftraggeber auch nach Eintritt des Zuschlagsverbots etwa die Prüfung und Wertung der Angebote vornehmen.
2. Die Durchführung eines Losentscheids zur Auswahl derjenigen Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollen, kann der untersagten Erteilung des Zuschlags nicht gleichgestellt werden. Der Losentscheid nimmt den nicht zur Angebotsabgabe ausgelosten Bietern die Chancen auf die Erteilung des Zuschlags.
IBRRS 2023, 1580
OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2023 - 13 Verg 2/23
1. Zur (fehlenden) Notwendigkeit der Vorgabe eines Mengengerüsts oder der Änderung der Vergütungsstruktur.*)
2. Zur Notwendigkeit, den Bietern in der Verhandlungsphase Betriebsdaten aus einem Pilotprojekt zur Verfügung zu stellen.*)
VolltextIBRRS 2023, 1557
KG, Beschluss vom 26.01.2022 - Verg 8/21
1. Die Vergabekammer kann dem Auftraggeber gestatten, den Zuschlag vorab zu erteilen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen.
2. Eine teilweise Gestattung des Zuschlags ist unzulässig.
VolltextIBRRS 2023, 1560
VK Bund, Beschluss vom 15.06.2022 - VK 2-54/22
1. Ein im Jahr 1998 geschlossener Vertrag bzw. eine Konzession, der bzw. die unter Missachtung von sekundärem Vergaberecht ohne das entsprechende europaweite Vergabeverfahren abgeschlossen bzw. vergeben wurde, wird im Interesse der Rechtssicherheit nicht als unwirksam angesehen, sondern als schwebend wirksam.
2. Die Möglichkeit, einen derartigen vergaberechtswidrig abgeschlossenen Vertrag durch die Vergabenachprüfungsinstanzen für unwirksam erklären zu lassen, besteht nur binnen bestimmter zeitlicher Grenzen. Danach mutiert die schwebende Wirksamkeit spätestens sechs Monate nach Abschluss des Vertrags bzw. nach der Vergabe der Konzession in eine dauerhafte Wirksamkeit.
3. Wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit erfordern ein neues Vergabeverfahren. Wesentlich sind Änderungen, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet.
4. Das "Tanken" ist eine wesentliche Zweckbestimmung der BAB-Nebenbetriebe. Der Begriff "Tanken" ist nicht begrenzt ist auf fossile Brennstoffe. Auch das Aufladen von Fahrzeugen mit Strom fällt - bei funktionaler Betrachtung - unter den Begriff des Tankens.
VolltextIBRRS 2023, 1553
BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 - Verg 2/23
1. Objektiv fehlerhaften Eigenerklärungen kommt kein Beweiswert zu. Sie können nicht Grundlage der vom Antragsgegner vorzunehmenden Eignungsprüfung sein.*)
2. Das Angebot eines Bieters ist nach § 57 Abs. 1 Hs. 1 VgV zwingend auszuschließen, wenn er infolge einer objektiv fehlerhaften Eigenerklärung seine Eignung nicht nachweisen kann.*)
IBRRS 2023, 1486
OLG Naumburg, Beschluss vom 06.12.2022 - 7 U 72/22 Kart
1. Die Zivilprozessordnung sieht – anders als das auf die Vergabe einer Trinkwasserkonzession nicht anwendbare Kartellvergaberecht – eine dem prozessualen Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB bzw. § 173 Abs. 1 GWB vergleichbare Rechtsschutzmöglichkeit zur Sicherung des Primäranspruchs während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens nicht vor.*)
2. Die in der Zivilprozessordnung fehlende Regelung über eine Kompetenz des Berufungsgerichts zum Erlass einstweiliger Anordnungen zur Sicherung der Effektivität des Eilrechtsschutzes stellt keine planwidrige Gesetzeslücke dar und kann deswegen nicht etwa durch eine entsprechende Anwendung des § 570 Abs. 3 ZPO geschlossen werden.*)
VolltextIBRRS 2023, 1405
VK Nordbayern, Beschluss vom 08.03.2023 - RMF-SG21-3194-7-30
1. Ein doppeldeutiges Referenzkriterium ist als Verstoß gegen das Transparenzgebot vergaberechtswidrig. Die Intransparenz geht zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers.
2. Auf eine doppeldeutige Ausschreibung kann weder die Aufhebung der Ausschreibung wegen des Nichtvorliegens von wertbaren Angeboten noch der Ausschluss der Angebote wegen fehlender Unterlagen im Hinblick auf die vom Auftraggeber geforderten Referenzen gestützt werden.
3. Ermessenserwägungen sind aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit und Transparenz zeitnah und fortlaufend in der Vergabedokumentation zu dokumentieren. Das Nachschieben von Ermessenserwägungen im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens begegnet Bedenken.
VolltextIBRRS 2023, 1391
VK Nordbayern, Beschluss vom 23.03.2023 - RMF-SG21-3194-8-6
1. Leistungen sind in Losen zu vergeben. Hiervon kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
2. Voraussetzung für eine Vergabe in Losen ist, dass die ausgeschriebene Leistung losweise vergeben werden kann. Für diese Feststellung ist insbesondere von Belang, ob sich für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Dabei sind die aktuellen Marktverhältnisse von wesentlicher Bedeutung.
3. Die Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es "erfordern", von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung des Auftraggebers voraus.
4. Die Überprüfung erfolgt anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten Abwägung.
IBRRS 2023, 1383
BayObLG, Beschluss vom 26.04.2023 - Verg 16/22
1. Die vom Auftraggeber beabsichtigte konkrete Nutzung eines Gebäudes genügt allein nicht, jede hierfür nötige Beschaffung von Gegenständen bereits aus diesem Grund als Bauauftrag zu qualifizieren, wenn weder ein Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks besteht noch es baulicher Änderungen oder mehr als nur unerheblicher Einbaumaßnahmen bedarf.*)
2. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist auch anwendbar, wenn der Auftrag - unzulässig - nur national ausgeschrieben war und die Antragstellerin ein Angebot abgegeben hat, ohne die fehlende europaweite Ausschreibung zu rügen. In einem derartigen Fall lässt sich eine Rügepflicht auch nicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ableiten.*)
3. Die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beginnt nicht bereits mit dem Ablauf der Bindefrist im Rahmen einer - unzulässigen - nationalen Ausschreibung.*)
4. Eine Erledigung eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch Erlöschen des Beschaffungsbedarfs liegt nicht vor, wenn die beschafften Gegenstände wieder ausgebaut und zurückgegeben werden können.*)
5. Bei einem Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist der im Rahmen der nationalen Ausschreibung nicht berücksichtigte Bieter nur antragsbefugt, wenn er außer dem Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch darlegt, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag hätte.*)
6. Durch die Bitte des Auftraggebers um Verlängerung der Bindefrist über das in den Vergabeunterlagen vorgesehene Datum hinaus werden nicht die Vergabeunterlagen geändert. Ein Ausschluss des Angebots eines Bieters, der dem zunächst nicht nachkommen möchte, ist weder nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 noch nach Nr. 4 VgV möglich.*)
IBRRS 2023, 1369
VK Bund, Beschluss vom 04.04.2023 - VK 2-18/23
1. Der öffentliche Auftraggeber verlangt vom Bieter Aufklärung, wenn der von ihm angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint.
2. Erhebliche preisliche Unterschiede zwischen den konkurrierenden Angeboten können Anhaltspunkte dafür bieten, dass ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint.
3. Als sachgemäß hat sich für die Ausübung des dem Auftraggeber zustehenden Spielraums eine Aufgreifschwelle von etwa 20 % Preisabstand etabliert, wobei die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind.
IBRRS 2023, 1312
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021 - Verg 41/20
1. Ein Angebot enthält nicht die geforderten Preise, wenn die Preisangaben gänzlich fehlen oder offensichtlich unzutreffend sind, insbesondere wenn Preisbestandteile in unzulässiger Weise verlagert werden.
2. Die Bieter sind in ihrer Kalkulation grundsätzlich frei. Das schließt die Befugnis ein, festzulegen, zu welchen Preisen die Positionen des Leistungsverzeichnisses ausgeführt werden sollen.
3. Aus dem Erfordernis, dass die Angebote die geforderten Preise enthalten müssen, lässt sich nicht ableiten, dass der verlangte Preis den hierfür entstehenden Kosten entsprechen muss.
4. Einem Bietern steht es trotz der grundsätzlichen Kalkulationsfreiheit nicht frei, seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuzuordnen. Er muss vielmehr zutreffende Preisangaben machen.
5. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen entsprechen, indiziert eine vergaberechtswidrige Preisverlagerung.
6. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preise enthält.
VolltextIBRRS 2023, 1266
VK Sachsen, Beschluss vom 29.11.2022 - 1/SVK/024-22
1. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung der gestellten Eignungskriterien in der Bekanntmachung lässt sich unmittelbar dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung des § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB entnehmen. Wenn dann in der Bekanntmachung hinsichtlich der Eignungskriterien lediglich ein pauschaler Hinweis auf die Auftragsunterlagen vorhanden ist, steht dies in Widerspruch zum Wortlaut der genannten Vorschrift und lässt regelmäßig einen augenscheinlichen Verstoß gegen diese Norm erkennen.*)
2. Hinsichtlich der rechtlichen Erkennbarkeit einer unklaren Leistungsbeschreibung im Hinblick auf Kalkulationsvorgaben sind nach Auffassung der Vergabekammer wesentlich geringere Anforderungen zu stellen als zu vielen anderen spezifisch vergaberechtlich determinierten Rechtsverstößen. Denn die Bieter haben sich zwangsläufig mit den diesbezüglichen Vorgaben in den Vergabeunterlagen zu beschäftigen, um überhaupt Preise angeben zu können.*)
3. Es stellt einen schwerwiegenden und offenkundigen Verstoß gegen die Pflicht zur hinreichenden Veröffentlichung der Eignungskriterien dar, soweit in der Bekanntmachung hinsichtlich der Eignungskriterien ohne nähere Ausführungen pauschal auf die Auftragsunterlagen verwiesen wird.*)
4. Die Einbeziehung einer - präkludierten - Rüge entsprechend § 163 GWB von Amts wegen setzt voraus, dass der Nachprüfungsantrag auch ohne diese Rüge zulässig gewesen wäre und zudem der damit gerügte Vergaberechtsverstoß schwerwiegend und offenkundig gewesen wäre.*)
5. Zwar sind Eignungskriterien systematisch von den Eignungsnachweisen (wie dem Formblatt 124) zu unterscheiden, doch kann von den verlangten Eignungsnachweisen auf die für den Auftrag maßgeblichen Eignungsanforderungen geschlossen werden.*)
VolltextIBRRS 2023, 1268
VK Südbayern, Beschluss vom 03.01.2022 - 3194.Z3-3_01-21-46
1. Das Unterlassen einer Fachlosvergabe ist auch dann ein in tatsächlicher Hinsicht erkennbarer Vergabeverstoß i.S.d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB, wenn die Gründe für eine gemeinsame Vergabe mehrerer Fachlose nicht in den Vergabeunterlagen aufgeführt sind.*)
2. Eine Verhandlung i.S.d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV liegt nur dann vor, wenn eine Interaktion zwischen Bieter und Auftraggeber stattfindet, die mit dem Ziel durchgeführt wird, die Angebote inhaltlich zu verbessern.*)
3. Das bloße Anhören und Bewertung einer Präsentation stellt keine Verhandlung im Rechtssinne dar. Wurden aber darüber hinaus im Termin Hinweise und Präzisierungen zu den Grundlagen der Honorarermittlung gegeben, die auch in die finalen Angebote der Bieter eingeflossen sind, lag eine Verhandlung vor.*)
4. Enthält ein finales Angebot i.S.d. § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV nicht die geforderten Preisangaben, ist es gem. § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV auszuschließen. Der Ausschluss verletzt einen Bieter nicht deshalb in seinen Rechten, weil der Auftraggeber die Erstangebote unzureichend geprüft hat und den Bieter nicht auf die bereits in seinem Erstangebot von den Vorgaben des Auftraggebers abweichenden Preisangaben hingewiesen hat.*)
VolltextIBRRS 2023, 1267
VK Südbayern, Beschluss vom 08.11.2022 - 3194.Z3-3_01-22-6
1. Bei einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Wirtschaftsteilnehmer, das auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV gestützt wird, kann in vielen Fällen einzig eine umfassende Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos i.S.d. § 14 Abs. 6 VgV ist und nicht das Ergebnis einer künstlichen Markteinschränkung durch den Auftraggeber.*)
2. Eine "Marktanalyse" bei der der Auftraggeber nur seinem gewünschten Vertragspartner die notwendigen Informationen zur Leistungserbringung zukommen hat lassen und weiteren Marktteilnehmern die exakten Rahmenbedingungen des Beschaffungsbedarfs nicht mitgeteilt hat, ist von vorneherein ungeeignet, Alleinstellungsmerkmale i.S.d. § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV i.V.m. § 14 Abs. 6 VgV zu begründen.*)
VolltextIBRRS 2023, 1276
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2023 - 1 VK 55/22
1. Die Präqualifikation von Bietern entbindet diese nicht vom Nachweis der Erfüllung von Eignungskriterien.
2. Referenzen zu vergleichbaren Leistungen müssen im technischen oder organisatorischen Bereich zumindest einen gleich hohen Schwierigkeitsgrad wie die ausgeschriebene Leistung haben.
3. Erfüllen die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Referenzen die Vergleichbarkeitsanforderungen nicht, sind sie inhaltlich unzureichend und nicht nachforderbar.
4. Widersprüchliche Angaben im Angebot und in Aufklärungsantworten gehen zu Lasten des Bieters.
IBRRS 2023, 1265
VK Sachsen, Beschluss vom 04.08.2022 - 1/SVK/013-22
1. Es ist für einen Ausschluss wegen vorangegangener Schlechtleistung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausreichend, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringt, die von einigem Gewicht sind, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen lassen.*)
2. Nachvollziehbar ist der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB dann, wenn eine hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es tatsächlich zu einer entsprechenden Pflichtverletzung gekommen ist und der Auftraggeber ein Recht zur vorzeitigen Vertragsbeendigung oder einen Anspruch auf Schadensersatz oder vergleichbare Sanktionen aufgrund der Pflichtverletzung hat.*)
3. Vor einem Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist der Auftraggeber verpflichtet, das betreffende Unternehmen anzuhören, damit dieses die Möglichkeit erhält, die Vorwürfe zu widerlegen oder mögliche Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB darzulegen.*)
4. Eine freie Kündigung nach § 8 Abs. 1 VOB/B kann nicht als vorzeitige Beendigung i.S.d. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A 2019 herangezogen werden.*)
IBRRS 2023, 1249
VK Südbayern, Beschluss vom 08.12.2022 - 3194.Z3-3_01-22-23
1. Eine Auftragswertschätzung, die ganz knapp unter den EU-Schwellenwerten liegt und in einem Verfahren erfolgt, in dem der Auftraggeber ein großes Interesse daran hat, unterhalb der Schwellenwerte zu bleiben, bedarf einer besonders sorgfältigen Dokumentation.*)
2. Dokumentiert der Auftraggeber zwar die Positionen, welche in die Schätzung des Auftragswerts eingeflossen sind, fehlen aber wichtige Erläuterungen dazu, welche Annahmen er bei den ausgewiesenen Beträgen zugrunde gelegt hat, ist die Auftragswertschätzung nicht nachvollziehbar.*)
3. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen oder plausiblen Auftragsschätzung, muss die Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren den Auftragswert selbst anhand der eingegangenen Angebote schätzen.*)
4. Leistungen des öffentlichen Auftraggebers, die zu entsprechenden Einsparungen oder Aufwandsminderungen beim Auftragnehmer führen, stellen einen geldwerten Vorteil dar, der bei der Kostenschätzung zu berücksichtigen ist.*)
5. Fordert der Auftraggeber lediglich die Erstellung einer Schnittstelle und nicht deren Vorhandensein, kann die Schnittstelle nicht zur Begründung eines Alleinstellungsmerkmals i. S. des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV herangezogen werden, wenn sie unstreitig zeitnah erstellt werden kann.*)
6. Eine besondere Dringlichkeit i. S. des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV liegt nicht vor, wenn der Beschaffungsbedarf schon seit vielen Monaten bekannt war, entsprechende Vergabeverfahren aber nicht vorangetrieben wurden und der Beschaffungsbedarf dann mit Hilfe der Corona-Verfahrenserleichterungen im Unterschwellenbereich schnell „mitgenommen“ werden soll.*)
IBRRS 2023, 1237
EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - Rs. C-184/20
1. Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind im Licht der Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften, nach denen die Erklärung über private Interessen, die jeder Leiter einer öffentliche Mittel erhaltenden Einrichtung abgeben muss, im Internet zu veröffentlichen ist, insbesondere insoweit entgegenstehen, als diese Veröffentlichung namensbezogene Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, oder Daten über jede in den letzten zwölf Kalendermonaten abgeschlossene Transaktion mit einem Wert von über 3.000 Euro betrifft.*)
2. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, auf der Website der Behörde, die für die Entgegennahme und die inhaltliche Kontrolle von Erklärungen über private Interessen zuständig ist, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.*)
VolltextIBRRS 2023, 1232
VK Südbayern, Beschluss vom 30.03.2023 - 3194.Z3-3_01-22-49
1. Möchte der öffentliche Auftraggeber Aspekte der Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals gem. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV als Zuschlagskriterium verwenden, so muss er mittels geeigneter vertraglicher Mittel sicherstellen, dass die bewerteten Mitarbeiter auch bei der Auftragsausführung eingesetzt werden und dass diese Mitarbeiter nur mit Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers ersetzt werden können, wenn dieser sich davon überzeugt hat, dass das Ersatzpersonal ein gleichwertiges Qualitätsniveau hat.*)
2. Unterlässt der öffentliche Auftraggeber diese vertragliche Absicherung, fehlt es dem entsprechenden Zuschlagskriterium am notwendigen Auftragsbezug gem. § 127 Abs. 3 GWB.*)
3. Gibt der öffentliche Auftraggeber die Bewertungsmethode, nach der er bestimmte Wertungskriterien bewerten will, nicht in den Vergabeunterlagen bekannt, muss aus der Vergabedokumentation zweifelsfrei hervorgehen, dass er die Bewertungsmethode bereits vor Öffnung der Angebote festgelegt hat.*)
4. Nicht in den Vergabeunterlagen bekannt gemachte Bewertungsmethoden, die im Widerspruch zu den Angaben in den Vergabeunterlagen stehen, dürfen bei der Bewertung der Angebote nicht zum Einsatz kommen.*)
5. Ein öffentlicher Auftraggeber darf eine konkrete Bieterfrage nach der für ein bestimmtes Wertungskriterium vorgesehenen Wertungsmatrix nicht mit "die Bewertung erfolgt in Relation zu den anderen Bietern" beantworten, wenn er tatsächlich eine ausgearbeitete, nicht bekannt gemachte Wertungsmatrix zum Einsatz bringen will.*)
IBRRS 2023, 1199
OLG Hamburg, Beschluss vom 20.03.2023 - 1 Verg 3/22
1. Die Vorgabe des Auftraggebers, dass sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch für den Fall der GU-Vergabe zu bieten ist und er sich vorbehält, die konkrete Vergabestrategie erst der nach Auftragsvergabe an die Planer (hier: nach Abschluss der Leistungsphase 4) festzulegen, führt in einem Verhandlungsverfahren nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Transparenz der Leistungsbeschreibung.
2. Es existiert kein Verbot, dem Auftragnehmer vertraglich (selbst erhebliche) Wagnisse aufzuerlegen. Es ist daher - bis zur Grenze der Unzumutbarkeit - zulässig, dem Auftragnehmer auch solche Risiken aufzubürden, die nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich den Auftraggeber treffen.
3. Der Auftraggeber hat bei der Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens einen weiten Ermessensspielraum. Er kann festlegen, wie viele Verhandlungs- und Angebotsrunden es gibt, wobei er diese Entscheidung auch in Abhängigkeit vom Ablauf des bisherigen Verfahrens treffen kann, solange er die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung beachtet.
4. Eine Rüge muss so bestimmt gefasst sein, dass dem Auftraggeber klar wird, welches konkrete Tun oder Unterlassen von dem rügenden Bieter für vergaberechtswidrig gehalten wird.
5. Eine allgemeine enthaltene Rüge, wonach bestimmte Leistungen durchweg nicht hinreichend klar beschreiben worden seien, genügt nicht, um dem Auftraggeber zu verdeutlichen, was der Bieter von ihm erwartet hätte.
IBRRS 2023, 1195
VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2023 - 1/SVK/031-22
1. Die Vergabekammer hat nicht zu bewerten, ob ein Angebot auskömmlich oder unauskömmlich ist, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot als auskömmlich oder unauskömmlich zu bewerten, auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar ist. Bei dieser Prognoseentscheidung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Vergabekammer unterliegt.*)
2. Ein Ausschluss eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots kommt nicht in Betracht, wenn der Auftraggeber nach der Prüfung gem. § 60 Abs. 1 und 2 VgV anhand der vom Bieter vorgelegten Unterlagen die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten zufriedenstellend aufklären kann. Dann ist bereits der Tatbestand des Ausschlussgrunds aus § 60 Abs. 3 S. 1 VgV nicht gegeben.*)
3. Sofern der Bieter eine seriöse Kalkulation seines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots nachweist, indem er die Gründe seiner Angebots- und Preisgestaltung nachvollziehbar und stichhaltig aufschlüsselt, darf sein Angebot nicht ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist dabei, ob der Bieter nachvollziehbar erklären kann, aufgrund sach- und/oder unternehmensbezogener sowie wettbewerbsorientierter Gründe günstiger als das Bieterumfeld kalkuliert zu haben.*)
4. Ein nachvollziehbarer Grund für eine sehr niedrige Kalkulation kann im Einzelfall z. B. die Erlangung einer neuen Referenz sein, um damit ein - wettbewerblich erwünschtes - Verbleiben im Markt zu gewährleisten.*)
IBRRS 2023, 1205
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.02.2023 - Verg 17/22
1. Grundsätzlich ist nicht erforderlich, dass einem Bieter die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel bereits bei Angebotsabgabe oder Zuschlagserteilung zur Verfügung stehen. Der Auftragnehmer muss, sofern sich der öffentliche Auftraggeber nicht in der Bekanntmachung einen anderen Zeitpunkt vorbehält, in der Regel erst zum Leistungsbeginn über diese Mittel verfügen.
2. Aus den Vergabeunterlagen muss sich mit der erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit ergeben, wenn der öffentliche Auftraggeber ausnahmsweise abweichend vom Regelfall fordert, dass die erforderlichen Mittel nicht erst zu Vertragsbeginn, sondern bereits bei Angebotsabgabe vorhanden sein müssen.