Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 10/2011 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
welche Bedeutung kommt "ca.-Maßen" bei der Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung zu? Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg können derartige Angaben - in Abhängigkeit von dem jeweiligen Gewerk - durchaus nur einen Anhaltspunkt für den Leistungsumfang bilden und nicht als konkrete Grundlage für die Ausführung herangezogen werden ( S. 567). Ähnlich hatte erst kürzlich der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Auslegung einer funktionalen Leistungsbeschreibung entschieden ( IBR 2011, 503): Durch die Verwendung von "ca.-Werten" in der Leistungsbeschreibung kann zum Ausdruck kommen, wovon der Auftraggeber als Geschäftsgrundlage ausgeht, ohne dass diese Annahme Vertragsinhalt wird. Die notwendige Abgrenzung muss im Einzelfall vorgenommen werden. Maßgebliches Auslegungskriterium ist dabei nicht, ob die betreffende Angabe richtig oder falsch ist, sondern in welchem vertraglichen Gesamtzusammenhang sie steht. Das wird bei der Vertragsauslegung zukünftig zu berücksichtigen sein.
Ein Bauunternehmer schuldet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgrund des geschlossenen Werkvertrags nicht nur die "Abarbeitung" der im Leistungsverzeichnis festgelegten Arbeitsschritte, sondern die Herstellung eines funktionstauglichen und zweckentsprechenden Werks (siehe z. B. BGH, IBR 2010, 399). Da Bauarbeiten in der Regel arbeitsteilig von verschiedenen Unternehmern ausgeführt werden und die unterschiedlichen Gewerke ineinandergreifen bzw. aufeinander aufbauen, treffen den einzelnen Bauunternehmer Prüf- und Hinweispflichten. Besteht eine enge Verbindung mit den Vorarbeiten eines anderen Unternehmers, muss deshalb geprüft werden, ob sich das Vorgewerk als Grundlage für die eigene Leistung eignet. Gegebenenfalls sind Erkundigungen einzuholen. Wird diese Verpflichtung nicht erfüllt und tritt später ein Schaden auf, ist nicht nur das Werk mangelhaft, es kommt zudem eine Haftung für Folgeschäden in Betracht. Denn eine mangelhafte Leistung ist eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 30.06.2011 entschieden ( S. 574). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nur einer ordnungsgemäßen Bedenkenanzeige haftungsbefreiende Wirkung zukommt (siehe OLG Brandenburg, S. 578). Die Erklärung des Unternehmers, die Ausführung einer bestimmten Leistung sei "unsinnig", reicht hierzu nach Ansicht des OLG Koblenz nicht aus ( S. 577).
Architektenverträge enthalten in der Praxis häufig keine eigenständige Leistungsbeschreibung. Stattdessen wird auf die Leistungsbilder oder Leistungsphasen der HOAI Bezug genommen. Wenngleich sich die HOAI aufgrund ihres preisrechtlichen Charakters nicht unmittelbar zur Bestimmung des vom Architekten geschuldeten Leistungsumfangs heranziehen lässt, kann sie nach der Rechtsprechung als Auslegungshilfe dienen (vgl. BGH, IBR 2007, 564). Zum Leistungsbild des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. (§ 33 HOAI in Verbindung mit Anlage 11, Leistungsphase 8) gehört die Führung eines Bautagebuchs. Vereinbaren die Vertragsparteien, dass dieses Leistungsbild für den Inhalt der Leistungspflichten des Architekten entsprechend gelten soll, ist der Architekt deshalb verpflichtet, den Bauablauf und alle wesentlichen Vorkommnisse in einem Bautagebuch zu dokumentieren. Kommt er dem nicht nach, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar mindern, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28.07.2011 ( S. 587 und S. 588).
Die Beantwortung der Frage, ob einem Bieter bei Verstößen des Auftraggebers gegen Vorschriften des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu gewähren ist, bleibt heftig umstritten. Das OLG Koblenz hat dies erst kürzlich offengelassen ( IBR 2011, 543). Anders wiederum das OLG Düsseldorf. Dieses hat sich in seinem Beschluss vom 15.08.2011 erneut (siehe IBR 2010, 160 und IBR 2009, 100) dahingehend positioniert, dass einem betroffenen Bieter in derartigen Fällen Primärrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten durch Erlass einer einstweiligen Verfügung zu gewähren ist. Das gilt auch, wenn ein privater Auftraggeber - etwa weil er öffentliche Fördergelder erhalten hat und deshalb zur Anwendung der einschlägigen Vergabeverordnung verpflichtet wird - die Ausschreibung nach den Vorschriften der VOB/A durchführt ( S. 605).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Dr. Alfons Schulze-Hagen
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
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