Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 8/2020 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht ist zunächst auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.05.2020 hinzuweisen, die sich mit der Frage beschäftigt, ob der Werklohnanspruch des Auftragnehmers fällig wird, wenn der Herstellungsanspruch des Auftraggebers verjährt ist. Die Entscheidung bringt zwar nicht die erhoffte Klärung, wann der Erfüllungsanspruch des Auftraggebers verjährt. Mit dem Urteil wird jedoch klargestellt, dass die (etwaige) Verjährung dieses Anspruchs den Auftraggeber nicht daran hindert, sich gegenüber der Werklohnforderung des Auftragnehmers auf die fehlende Fälligkeit zu berufen ( S. 387).
Nimmt der Auftraggeber den Auftragnehmer wegen Baumängeln in Anspruch, versucht dieser – wenn er seine Mängelverantwortung nicht vollständig in Abrede stellt – häufig, die mit seiner Haftung für ihn verbundenen Kosten zumindest teilweise zu reduzieren. Zu den bekanntesten Verteidigungsmitteln gehören dabei der Mitverschuldenseinwand (§ 254 BGB), der Einwand der Sowieso-Kosten und der Abzug „neu für alt“. Hat der Auftraggeber durch die Verletzung von Pflichten oder Obliegenheiten aus seinem Verantwortungsbereich den Baumangel – etwa durch Übergabe mangelhafter Architektenpläne – mitverursacht, muss er sich an den Mängelbeseitigungskosten beteiligen (siehe z. B. OLG Düsseldorf, IBR 2011, 201). Das gilt aber nicht in den Fällen unzureichender Bauüberwachung durch den Auftraggeber oder den damit von ihm beauftragten Architekten oder Ingenieur, weil der Auftraggeber dem Auftragnehmer keine Bauüberwachung schuldet (u. a. OLG Brandenburg, IBR 2018, 72). Einen Zuschuss zu den Mängelbeseitigungskosten hat der Auftraggeber wiederum zu leisten, wenn „seine“ Planung als Grundlage für die Errichtung eines funktionstauglichen und zweckentsprechenden Bauwerks nicht geeignet ist und das Werk deshalb bei ordnungsgemäßer Ausführung von Anfang an teurer geworden wäre, sog. Sowieso-Kosten (BGH, IBR 1998, 528). Schließlich kann auch noch ein sog. Abzug „neu für alt“ vorzunehmen sein, wenn sich der Mangel verhältnismäßig spät zeigt, der Auftraggeber bis dahin keine Gebrauchsnachteile hinnehmen musste und die Mängelbeseitigung zu einer deutlich verlängerten Nutzungsdauer führt (BGH, IBR 2002, 466). Das kommt allerdings nicht in Betracht, wenn diese Vorteile ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruhen und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste (z. B. OLG Celle, IBR 2018, 388). Für einen Abzug „neu für alt“ (und für Sowieso-Kosten) ist ebenfalls kein Raum, wenn die Leistung von Anfang an nicht der Soll-Beschaffenheit entspricht und (nur) deshalb mangelhaft ist. Darauf weist das OLG München hin ( S. 401).
Im Recht der Architekten und Ingenieure hat der Europäische Gerichtshof am 14.05.2020 entschieden, dass der Auftrag, eine reine Architektenplanung zur Errichtung eines Einfamilienhauses zu erstellen, für einen Verbraucher frei widerruflich ist, wenn der Vertrag außerhalb des Architekturbüros geschlossen und er über sein Widerrufsrecht nicht belehrt worden ist. Es liegt weder ein Vertrag "zum Bau eines neuen Gebäudes" noch zur Lieferung von individuell zugeschnittener Ware vor ( S. 408). Wenngleich die Entscheidung einen österreichischen Rechtsstreit betraf, lässt sie sich 1:1 auf das deutsche Recht übertragen.
Wird über den Umfang der dem Architekten übertragenen Leistungen gestritten, gibt es zu Gunsten des Architekten keine Vermutung dafür, dass sich der Auftrag auf sämtliche Leistungsphasen des § 34 HOAI 2013 (Vollarchitektur) bezieht (st. Rspr., z. B. OLG Hamm, IBR 1990, 155). Der Umfang der vom Architekten zu erbringenden Leistungen ergibt sich vielmehr aus dem von ihm im Einzelfall konkret übernommenen Leistungsbild und den jeweiligen Vereinbarungen der Parteien. Das gilt jedenfalls dann, wenn nicht nur der Architekt, sondern auch ein Dritter Planungsleistungen erbringt (OLG Düsseldorf, IBR 2015, 146). Verlangt der Architekt ein nach den Mindestsätzen der HOAI berechnetes Honorar, obliegt es ihm dementsprechend, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass er mit den von ihm nach den Mindestsätzen abgerechneten (Teil-)Leistungen auch beauftragt worden ist. Werden dem Architekten nicht alle Leistungen einer Leistungsphase beauftragt, darf er auch nur ein Honorar berechnen, das dem Anteil der übertragenen Leistungen an der jeweiligen Leistungsphase entspricht, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 14.05.2020 (5.409).
Im Vergaberecht hat der Bundesgerichtshof vor einigen Jahren entschieden, dass es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegensteht, wenn für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergeben werden, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl abhängen soll. Der Gefahr, dass die Offenheit eines Wertungsschemas zu einer nicht hinreichend transparenten Vergabe führt, ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen ( IBR 2017, 387). Diese Dokumentationspflicht hat das OLG Düsseldorf dahingehend konkretisiert, dass der Auftraggeber seine ausschlaggebenden Erwägungen, die ihn zur Zuschlagserteilung bewegt haben, dahingehend dokumentieren muss, dass jederzeit nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind und auf welche Begründung sich seine Entscheidung stützt
(5.415).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Verleger und Schriftleiter der IBR